US-Zinswende

Schwellenländer in besserer Ausgangslage

Wenn die US-Notenbank auf Zinserhöhungen zusteuert, steigt die Nervosität in den Schwellenländern. Warum Experten Turbulenzen auf breiter Front diesmal für unwahrscheinlich halten – und wo Warnlampen blinken.

Schwellenländer in besserer Ausgangslage

Von Stefan Reccius, Frankfurt

Die Warnungen kommen jetzt auch von ganz oben: „Schwellen- und Entwicklungsländer mit hohem Bedarf an Fremdwährungskrediten und Außenfinanzierung sollten sich auf mögliche Turbulenzen auf den Finanzmärkten vorbereiten“, schrieb Gita Gopinath kürzlich im Blog des Internationalen Währungsfonds (IWF), wo sie von der Chefvolkswirtin zur stellvertretenden Ge­schäftsführerin aufgestiegen ist. Wenn die US-Notenbank Federal Reserve ihre Geldpolitik strafft und die Zinsen erhöht, heißt es für aufstrebende Volkswirtschaften aus der zweiten und dritten Reihe der Weltwirtschaft: Anschnallen, bitte!

In böser Erinnerung ist Marktteilnehmern ein Schockmoment im Jahr 2013, der als Taper Tantrum in die Finanzmarktmarktgeschichte einging: Seinerzeit reichte eine Andeutung von Fed-Chef Ben Bernanke, um eine Kapitalflucht aus den renditestarken Schwellenländern in sichere Häfen wie US-Papiere auszulösen – was Bernanke freilich nicht beabsichtigt hatte. Die Fed hat aus dieser missglückten Kommunikation ihre Lehren gezogen und die Märkte diesmal behutsamer auf die geldpolitische Wende vorbereitet. Zudem sind etliche Schwellenländer besser gegen Verwerfungen gewappnet. Beobachter rechnen deshalb damit, dass die aller Voraussicht nach im März einsetzende Zinswende der Fed für Schwellenländer in geordneteren Bahnen verlaufen wird. Problemfälle gibt es aber auch diesmal, daher ist Vorsicht geboten.

„Fragile fünf“ weniger fragil

„Ein Taper Tantrum 2.0 erscheint unwahrscheinlich“, meint Felix Schmidt, Analyst der KfW. Er stellt in seiner Studie auf die „Fragilen fünf“ ab, die Schwellenländer, die es 2013 besonders hart traf: Brasilien, Indien, Indonesien, Südafrika und die Türkei. Ihre makroökonomischen Voraussetzungen hätten sich deutlich verbessert. Schmidt macht das an jenen Parametern fest, mit denen die Fed mit den Erfahrungen von 2013 im Hinterkopf Schwellenländer auf Verwundbarkeiten abklopft. Demnach haben die Länder ihre Leistungsbilanzdefizite verringert und ihre Devisenreserven aufgestockt. Die Fremdwährungsschulden, die sie auf Sicht von zwölf Monaten zu bedienen haben, sind geringer. Und das Kreditwachstum hat sich verlangsamt. All dies erhöht die Stabilität bei Kapitalabflüssen, wie sie laut Bankendachverband IIF seit Jahresanfang in verstärktem Maße zu beobachten sind.

Zu ähnlichen Schlüssen kommt die Ratingagentur S&P. Sie weist allerdings darauf hin, dass in einigen Ländern Warnlampen blinken. In der Türkei, in Chile und Kolumbien habe sich die auf Dollar laufende Verschuldung gegen den Trend erhöht. In Chile hat zudem das Missverhältnis von Exporten zu Importen zugenommen, was auch die Philippinen und Thailand betrifft. In Thailand ist die Leistungsbilanz besonders defizitär, weil der Tourismus eingebrochen ist und Devisen ausbleiben. Dafür sind die Währungsreserven üppig.

Sorge bereitet Schmidt „der zum Teil sehr deutliche Anstieg der Staatsverschuldung“. „Durchwachsen“ fällt seine Zwischenbilanz für den Kampf gegen den postpandemischen Inflationsschub aus – ein Eindruck, der durch die Türkei verzerrt ist: Regierung und Zentralbank haben zugelassen, dass die Landeswährung Lira kollabiert ist und die Inflation unvermindert Richtung 50% rast. Schmidt: „Die geldpolitische Wende in den USA hat hier das Potenzial, die bereits jetzt äußerst angespannte makroökonomische Lage durch weitere Kapitalabflüsse zu verschärfen.“

Die Türkei ist zu einem krassen Sonderfall im Schwellenländeruniversum geworden, weil sich die Zentralbank auf Geheiß der Regierung ins Abseits manövriert hat. Während sie stoisch die Leitzinsen senkt, marschieren alle anderen geschlossen in die entgegensetzte Richtung. Angeführt von Brasilien und Russland, nähert sich der Straffungszyklus laut Goldman Sachs seinem Höhepunkt. Als Reaktion auf die grassierende Inflation ist er eine wirksame Absicherung gegen Kapitalabflüsse und Währungsturbulenzen. Den Analysten von S&P zufolge sind in Schwellenländern außerhalb Asiens, wo die Inflation bislang moderat ist, durchschnittlich weitere Zinserhöhungen über 200 Basispunkte bereits eingepreist. Liefern die Zentralbanken nicht, könne dies zu „abrupten Korrekturen“ führen, mahnt S&P.

IWF-Vize Gopinath gibt anfälligen Schwellenländern den Rat, die Laufzeiten ihrer Schulden so weit wie möglich zu verlängern und „mismatches“ ihrer Währungen zu vermeiden. Sie müssen also Acht geben, dass ihre Währungen zum Dollar nicht fundamental über- oder unterbewertet sind. Laut IIF-Berechnungen trifft dies auf mehr als ein Dutzend Währungen zu. Der IWF selbst äußert sich zu Einzelfällen traditionell nicht.