Sechs Rezessionen in 70 Jahren
Von Reinhard Kuls, FrankfurtMorgen wird die Bundesrepublik Deutschland 70 Jahre alt. Was haben die knapp 51 Millionen Menschen, die Ende 1950 in der damaligen Bundesrepublik lebten, bis hin zu den 82,8 Millionen, die Deutschland bis Ende 2017 zählte, nach dem staatlichen Untergang in der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs erreicht?Das Statistische Bundesamt hat pünktlich zum Gründungsjubiläum wichtige gesellschaftliche und wirtschaftliche Kennzahlen zusammengestellt. Sie zeigen, dass die vergangenen 70 Jahre insgesamt durch stetiges Wirtschaftswachstum gekennzeichnet waren, dass aber trotzdem äußere wie auch innere Einflüsse immer wieder zu Rückschritten geführt haben. So hat es seit 1950 sechs Rezessionsphasen gegeben, die allerdings oft zu einem starken Nachholeffekt in den darauffolgenden Jahren führten.Nach einer Zeit der Erneuerung der im Krieg völlig zerstörten Infrastruktur und angeschoben durch die Aufbauhilfen des Marshall-Plans erlebte Deutschland von 1950 an eine Phase ungebrochener Hochkonjunktur mit preisbereinigten Wachstumsraten von bis zu 12,1 % (1955). Erst 1967 endete das deutsche “Wirtschaftswunder” im früheren Bundesgebiet mit der ersten Rezession. Die folgenden Wachstumsphasen bis zur deutschen Wiedervereinigung wurden nur durch die Rezessionen 1975 und 1982 unterbrochen, ausgelöst durch die beiden Ölkrisen. Den nächsten Einbruch stieß die Weltwirtschaft infolge des Ersten Golfkriegs an, er erreichte Deutschland wegen die Sondersituation der Vereinigung aber erst 1993. Die Auswirkungen der Terroranschläge vom 11. September 2001 und das Platzen der Internetblase (2003) lösten weitere Rezessionen aus.Der stärkste wirtschaftliche Absturz seit der Gründung der Bundesrepublik war der drastische Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um 5,6 % im Jahr 2009 im Rahmen der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise. Ihm folgte aber sofort ein dynamischer Aufholprozess, so dass die deutsche Wirtschaft wieder stetig gewachsen ist, 2018 um 1,4 %. Alterung der BevölkerungDie wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands ging einher mit tiefgreifenden Veränderungen in der Struktur der Bevölkerung. War sie 1950 mit einem Durchschnittsalter von 34,8 Jahren noch sehr jung (30,5 % der Bevölkerung waren Kinder und Jugendliche unter 20 Jahren und nur 9,4 % waren 65 Jahre und älter), weist war die gesamtdeutsche Bevölkerung nun ein Durchschnittsalter von 44,4 Jahren auf, die über 65-Jährigen machen 21,4 % aus.Der Anteil der Frauen an der Bevölkerung lag 1950 im früheren Bundesgebiet, nicht zuletzt wegen der Kriegsverluste, bei 53,3 %. Inzwischen ist das Verhältnis mit einem Frauenanteil von 50,7 % (2017) weitgehend ausgeglichen.Von grundlegenden Umwälzungen zeugt die zunehmende Erwerbsbeteiligung von Frauen. 1950 waren 40,2 % der 20- bis 64-jährigen Frauen im früheren Bundesgebiet entweder erwerbstätig oder erwerbslos gemeldet. Dieser Anteil stieg seitdem kontinuierlich und wurde vor allem durch die höhere Erwerbsbeteiligung der Frauen in der früheren DDR mit der Wiedervereinigung zusätzlich beflügelt. Die Erwerbsquote der Frauen erreichte zuletzt 78,1 %. Zum Vergleich: bei den Männer betrug sie zuletzt 87,2 %.Große Veränderungen gab es auch bei der Art der Erwerbstätigkeit von Frauen: 1950 halfen im früheren Bundesgebiet 30,7 % der erwerbstätigen Frauen unbezahlt im eigenen Familienbetrieb mit, 2018 weniger als 1 %. Der Anteil der Arbeitnehmerinnen unter den erwerbstätigen Frauen ist allerdings von 61,7 % auf knapp 92,7 % gestiegen. Der Anteil selbständiger Frauen blieb seit 1950 fast unverändert bei 6,8 %. 440 Prozent InflationDie Inflation seit Gründung der Bundesrepublik, gemessen an den Verbraucherpreisen, beläuft sich auf 440 %. Das sieht zunächst erschreckend hoch aus, ergibt pro Jahr aber im Durchschnitt nur 2,5 %. Besonders hohe Inflationsraten von 5 % und mehr herrschten in den 1970er bis zu Beginn der 1980er Jahre während der beiden Ölkrisen und nochmals Anfang bis Mitte der 1990er Jahre wegen stark anziehender Wohnungsmieten in den neuen Bundesländern im Zuge der Wiedervereinigung. Die Finanzkrise drückte die Inflationsrate auf rekordniedrige 0,3 %. Die steigenden Energiepreise schoben sie seither wieder nach oben – 2018 auf 1,8 %.