Sehnsucht nach dem weisen Diktator

Von Stephan Lorz, Frankfurt Börsen-Zeitung, 25.4.2012 Finanzmarktakteure und Ökonomen haben eine gemeinsame geheime Sehnsucht: der Wunsch nach einem weisen und gerechten Diktator. Die etablierten politischen Prozesse dauern ihnen einfach zu lange,...

Sehnsucht nach dem weisen Diktator

Von Stephan Lorz, FrankfurtFinanzmarktakteure und Ökonomen haben eine gemeinsame geheime Sehnsucht: der Wunsch nach einem weisen und gerechten Diktator. Die etablierten politischen Prozesse dauern ihnen einfach zu lange, und Kompromisse sind ihnen zuwider, weil sie die ohnehin schon vielfach entkernten Entscheidungsvorlagen oftmals weiter durchlöchern und bisweilen auch ihrer eigentlichen Bestimmung berauben.In der Debatte um die Eindämmung der Euro-Krise blitzt diese Sehnsucht immer wieder auf, wenn aufgrund eher peripherer Informationen die Märkte verrückt spielen und Staaten abstrafen, weil ihnen alles zu langsam geht. Oder wenn Ökonomen (oft aus Publizitätsgründen) immer neue Blaupausen und Extremszenarien aus der Schublade ziehen und die Politik dann dafür geißeln, dass sie die aus ihrer Sicht richtigen Schlussfolgerungen nicht umgehend umsetzt. Die Politik scheint dumm, uneinsichtig, unfähig und lahm zu sein – kurz: sie wird ihrer Verantwortung nicht gerecht.Zu diesem Eindruck beigetragen haben nicht zuletzt die Unzulänglichkeiten des europäischen Politikbetriebs, wo zahlreiche souveräne Staaten auf eine Linie gebracht werden müssen. Das geht in der Tat zu langsam, weshalb die reformerische Energie künftig auf eine Straffung dieser Prozesse gerichtet werden sollte. Doch “demokratische Mühlen” mahlen eben aus sich heraus langsam, räumte auch der Ökonom Paul J.J. Welfens von der Universität Wuppertal bei einer Debatte zur Euro-Krise in der Frankfurter Montagsgesellschaft ein. Und der frühere Wirtschaftsweise Bert Rürup wies auf die Schwierigkeiten der Mehrheitsbeschaffung hin. Denn “die besten Strategien lösen keine Probleme, sondern müssen erst umgesetzt werden”. Und hierfür benötige man Mehrheiten. Das werde in der Euro-Debatte gerne vergessen.Dass der politischen Entscheidungsfindung durchaus genügend Zeit eingeräumt werden sollte, hat nicht nur etwas mit der demokratischen Kultur zu tun, sondern auch mit der Absicherung vor Fehlentscheidungen. Politiker tragen unmittelbar Verantwortung – Ökonomen und Marktakteure sehen sich davon befreit. Welfens verwies in diesem Zusammenhang etwa auf die vielen Fehlprognosen des Internationalen Währungsfonds (IWF) vor der Schuldenkrise, als er der irischen Wirtschaftspolitik Top-Noten gab und die Fiskalpolitik Spaniens als grundsolide bezeichnet hatte. Jetzt, da der IWF immer neue harsche Forderungen an die Geberstaaten der Eurozone richtet, sollte man entsprechend vorsichtig sein – womöglich liegt er damit ja wieder falsch.Vielfach hat sich die Politik von Märkten und ökonomischen Ratgebern aber durchaus antreiben lassen. Man denke nur an die mit heißer Nadel gestrickten Euro-Rettungsgesetze, gegen die das Bundesverfassungsgericht bereits eingeschritten ist und Souveränitäts- bzw. Politikgrenzen aufgezeigt hat. Viele Euro-Institutionen wie die EZB haben zudem ihr Mandat weit überdehnt. Erst nach und nach wird der Bevölkerung klar, worauf sich die Politik hier eingelassen hat. Weil es aber an einer soliden breiten Diskussion fehlt, die Politik sich nicht traut, den Bürgern reinen Wein einzuschenken, und sie auch nicht vom Erhalt der Eurozone zu überzeugen sucht, fühlt sich das Volk nun betrogen. Extreme Parteien bekommen Zulauf. Das ist dann aber eher Ausdruck von zu wenig als von zu viel Demokratie.—–Die Bekämpfung der Euro-Krise krankt nicht an zu viel, sondern an zu wenig Demokratie.—–