NOTIERT IN TOKIO

Shinzo Abe wird zu Abe Shinzo

Woran erkennt man den wichtigsten Feiertag in Japan, dem Land der Workaholics? Daran, dass niemand arbeitet - und dies geschieht wirklich nur zu Neujahr. Sogar die Supermärkte schließen dann für ein bis zwei Tage, während die meisten werktätigen...

Shinzo Abe wird zu Abe Shinzo

Woran erkennt man den wichtigsten Feiertag in Japan, dem Land der Workaholics? Daran, dass niemand arbeitet – und dies geschieht wirklich nur zu Neujahr. Sogar die Supermärkte schließen dann für ein bis zwei Tage, während die meisten werktätigen Japaner knapp eine Woche arbeitsfrei haben, ohne dass ihnen dafür ein einziger Urlaubstag abgezogen wird. Man nutzt diese ungewohnte Pause für eine fast schon meditative Auszeit. Kein Feuerwerk, keine Party – den Jahreswechsel begehen die Japaner beschaulich und mit speziellen Speisen. Am Vorabend von Neujahr essen sie als letzte Mahlzeit Buchweizennudeln, die Glück und langes Leben verheißen. Um Mitternacht erklingen von den Tempeln her 108 Glockenschläge.Am Neujahrstag verzehrt man im Kreis der Familie spezielle Speisen, die in einem Kasten arrangiert sind. Die 15 bis 20 Bestandteile symbolisieren gehegte Hoffnungen für das neue Jahr. Heringsrogen zum Beispiel garantiert gesunden Nachwuchs. Die Gerichte sind häufig aufwendig in der Zubereitung und daher teuer, so dass ein fertig zubereitetes Set für eine Kleinfamilie umgerechnet 200 Euro kosten kann. Immerhin reicht der Inhalt für mehrere Tage. Die Kinder freuen sich auf das Neujahrsgeld von Eltern und Großeltern, oft ein 5 000- oder 10 000-Yen-Schein (41 bzw. 82 Euro).Als erste gemeinsame Aktion im neuen Jahr reihen sich Familien und Paare in die langen Schlangen vor einem Shinto-Schrein ein. Es kann leicht eine Stunde und mehr dauern, bis man neben vielen anderen endlich im Tempel steht, ein glücksbringendes 5-Yen-Stück in den Sammelbehälter wirft und mit einem kurzen Gebet um den Beistand der Naturgötter im neuen Jahr bittet. Danach wendet sich der Japaner wieder weltlichen Angelegenheiten zu und stürzt sich in den Neujahrsschlussverkauf. Viele Geschäfte kurbeln den Umsatz mit Glückstüten zum Schnäppchenpreis an, gefüllt mit nicht sichtbaren Restwaren aus dem Vorjahr. Erst am Montag hat Japan zurück zum üblichen Rhythmus gefunden. Die S-Bahnen aus den Vorstädten sind morgens wieder brechend voll. Die Salarimen, die Angestellten, sitzen wieder an ihren hoch beladenen Schreibtischen, in den Fabriken laufen die Maschinen an. Bald beginnen die Neujahrsempfänge großer Unternehmen für ihre Zulieferer, um die Fortsetzung der Geschäftsbeziehung auszudrücken. *Die Hoffnungen für 2020 sind gedämpft. Nach den Olympischen Spielen während des heißen Sommers in der japanischen Hauptstadt fürchten viele Unternehmen einen konjunkturellen Blues – die hohen Ausgaben für die Infrastruktur hatten viele Arbeitsplätze geschaffen. Die Arbeitnehmer wiederum erwarten wie in den Vorjahren von den Tarifverhandlungen im Frühjahr nur ein bescheidenes Lohnwachstum. Als größtmögliche Überraschung für das neue Jahr gilt ein Aus für Dauerpremierminister Shinzo Abe. Denn zum ersten Mal gelingt es ihm derzeit nicht, sich an den eigenen Haaren aus dem Skandalsumpf zu ziehen. Erst beschädigte eine staatlich finanzierte Kirschblütenparty seinen Ruf. Dazu hatte der Regierungschef Anhänger aus seinem Wahlkreis eingeladen. Die Gästeliste verschwand jedoch in einem Schredder des Kabinettsbüros.Kaum war diese Aufregung verklungen, erschütterte ein neuerlicher Skandal die Politik. Diesmal geht es um den Bau von drei “integrierten Resorts” mit einem Kasino als Hauptgeldbringer. Ausgerechnet der Politiker, der die Verordnung für diese Resorts umsetzen sollte, soll 3 Mill. Yen (25 000 Euro) von der chinesischen Glücksspielfirma 500.com angenommen haben. Angeblich erhielten weitere Parlamentsabgeordnete ebenfalls Geld. Die integrierten Resorts gehören zu den Lieblingsprojekten der Regierung für die 2020er Jahre.Einstweilen verbuchte der Premier jedoch einen Pluspunkt. Seit dem 1. Januar kehrt Japan in offiziellen Dokumenten auf Englisch zu der eigentlichen Reihenfolge von Vor- und Familiennamen zurück. Wie in China, Korea und Vietnam üblich steht der Familienname nun wieder vorn. Als erstes ausländisches Presseorgan richtete sich der “Economist” danach und bezeichnete den Premierminister wie auch im Japanischen mit “Abe Shinzo”.