GASTBEITRAG

Sind die EZB-Anleihekäufe ein Teufelswerk?

Börsen-Zeitung, 5.8.2020 Die Frage suggeriert als Antwort ein "Nein". Nämlich, dass die Anleihekäufe der Europäischen Zentralbank, spätestens seit der Finanzkrise 2008/2009 wichtigster Bestandteil der EZB-Geldpolitik, "kein" Teufelswerk sind. Aber...

Sind die EZB-Anleihekäufe ein Teufelswerk?

Die Frage suggeriert als Antwort ein “Nein”. Nämlich, dass die Anleihekäufe der Europäischen Zentralbank, spätestens seit der Finanzkrise 2008/2009 wichtigster Bestandteil der EZB-Geldpolitik, “kein” Teufelswerk sind. Aber stimmt das? Ist ihre Geldpolitik vielleicht doch teuflisch? Wird hier mit Teufelszeug schlimme Politik betrieben? Schaut man auf den “Main”stream”, ist festzustellen, die Anleihepolitik der EZB wird verteufelt – in der bürgerlichen intellektuellen Presse seit Jahren mit großer Gefolgschaft. Die Deutsche Bundesbank hat hier, mit im Übrigen seit einiger Zeit stark nachlassender Intensität, die geistige Führerrolle inne.Anleihekäufe, also das Werkzeug, sind ein lange erprobtes geldpolitisches Instrumentarium der Notenbanken. Sie, alle Notenbanken, haben in diesen Instrumentenkasten gegriffen und sie tun es bis heute. In Deutschland seit 1933 gesetzlich goutiert, im Gesetz über die Deutsche Bundesbank 1957 fortgeführt, im EZB-Statut verankert. Die Käufe (Verkäufe) tragen den Namen Offenmarktpolitik. Ihre Wirkungsweise ist leicht zu verstehen: Die Notenbank kauft Anleihen, also Schulden von Staaten, Banken, Industrie- oder Handelsunternehmen, und bezahlt diese mit Notenbankgeld. Der Effekt ist, dass die Geldmenge, also das Geld, das im Umlauf ist, sich erhöht. Die Frage ist aber, ob sich die Geschwindigkeit, mit der das Geld umläuft, auch erhöht?Die EZB hat diese geldpolitische Maßnahme im letzten Jahrzehnt zu ihrem Lieblingsinstrument erkoren. Milton Friedman, Nobelpreisträger, dem neoklassischen Denken verpflichtet und Guru geldpolitischen Handelns der Bundesbank, präferierte ein indirektes Instrument der Geldmengensteuerung. Der Zins sollte es richten, die Geldmenge beeinflussen. Seinerzeit mit bemerkenswertem Erfolg. EZB erntet viel KritikDie EZB erweiterte nach 2008/2009 den Kreis der zum Ankauf zugelassenen Papiere Zug um Zug. Immer wieder wurden die Volumina der Anleihekäufe erhöht. Immer wieder war die Kritik-Ernte reichhaltig. Dabei waren die Käufe anfangs primär nicht als geldpolitische Maßnahme gedacht. Sie zielten vornehmlich darauf ab, den Geldmarkt funktionsfähig zu halten, also den Markt in Gang zu halten, auf dem die Banken sich untereinander Geld leihen und verleihen. Die Finanzkrise mit ihrem Bad Highlight “Lehman” hatte dazu geführt, dass der Geldmarkt zum Erliegen kam. Die Banken trauten sich untereinander nicht mehr. “Wem kann man schon trauen?” Was drohte, war der Kollaps. Die EZB hielt den Geldmarkt mit Operationen am “offenen Markt” funktionsfähig.Die Finanzkrise wurde ergänzt, wohlgemerkt nicht abgelöst, durch die Staatsschuldenkrise. Die Notenbanken mussten und müssen weiterhin, wegen Corona noch massiver, den Anleihemarkt für Staatsschulden stützen. Die Notenbanken sind gehalten, die Zinsen niedrig zu halten, weil ansonsten das ganze System überbordender Staatsschulden wegen zu hoher Zinszahlungen in Gefahr geriete. Ein gesamtwirtschaftliches weltweites Chaos mit verheerenden Folgen wäre sonst unvermeidbar. Nachfrage muss steigenDie EZB-Kritiker sagen: Anleihekäufe erhöhen die Geldmenge. Richtig! Allerdings nur bei erster Überlegung. Dadurch, so sagen deren Protagonisten, würde sich die Nachfrage erhöhen mit preissteigernder Wirkung, also Inflation. Falsch! Denn das zur Verfügung stehende Geld muss erst in die Hand genommen, ausgegeben werden, um Nachfrage auszulösen, nicht gespart, auf die hohe Kante gelegt werden. Erhöhte Geldmenge impliziert nicht automatisch, dass sich die Nachfrage tatsächlich erhöht.Wenn etwa Banken das Geld auf ihrem Notenbankkonto bunkern (dafür müssen sie in Nullzinszeiten, wie pervers, Strafzinsen zahlen), wird dieses Geld nicht zur Kreditvergabe verwendet. Beim Sparer ist es dasselbe. Das Geld auf seinem Sparkonto wird nicht in den Geldkreislauf gepumpt. Es entwickelt keine Nachfrage. Das Geld nimmt keine Fahrt, keine Geschwindigkeit auf.Dieser Wirkungszusammenhang wurde Anfang des 20. Jahrhunderts, genau 1911, in einem berühmten Aufsatz von dem US-Ökonomen Irving Fisher aufgegriffen und verfeinert. Seine Ideen sind unter dem Namen Quantitätstheorie bekannt. Geistige Väter sind Nikolaus Kopernikus, Jean Bodin, John Locke. Der im vorliegenden Zusammenhang entscheidende Terminus ist die “Geldumlaufgeschwindigkeit”. Sie ist in der Realität seit Jahren sehr langsam, nahe am Stillstand. John Maynard Keynes, der Weltökonom, hat die Größe dieser Theorie gesehen. Wer kennt nicht den Begriff der ” Liquiditätsvorliebe”. Menschen lieben es, zu sparen und flüssig zu sein. Inflation bleibt zu niedrigDie Überlegungen geben Antwort auch auf die Frage, weshalb trotz expansiver Geldmengenpolitik die Preissteigerungsraten im Euroraum relativ niedrig und der EZB zu niedrig sind. Sie verdeutlichen, dass die per se Verteufler des Mainstreams falsch liegen. Das frische Geld entwickelt nicht selbstgängig eine höhere Nachfrage. Inflation entsteht nur, wenn die Nachfrage das Angebot übersteigt, also ein Nachfrageüberhang vorliegt. Aber das tut die Nachfrage in der Realität oft nicht, wie eben auch zurzeit. Der Autor war von 1991 bis 2004 Mitglied der Hauptgeschäftsführung des Bundesverbandes deutscher Banken. Wolfgang Arnold