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So sieht von der Leyens EU-Kommission aus

Von Andreas Heitker, Brüssel Börsen-Zeitung, 11.9.2019 Die neue EU-Kommission unter der Führung von Ursula von der Leyen wird mit einer neuen Struktur und mit neuen Ressorts an den Start gehen. Wie die designierte Präsidentin der Behörde gestern in...

So sieht von der Leyens EU-Kommission aus

Von Andreas Heitker, BrüsselDie neue EU-Kommission unter der Führung von Ursula von der Leyen wird mit einer neuen Struktur und mit neuen Ressorts an den Start gehen. Wie die designierte Präsidentin der Behörde gestern in Brüssel erläuterte, werden acht Vizepräsidenten ernannt, die für Top-Prioritäten in den nächsten Jahren verantwortlich sein werden. Davon erhalten drei die herausgehobene Funktion eines “Exekutive Vizepräsidenten”. Das heißt, dass sie eine doppelte Funktion wahrnehmen: Neben der Verantwortung für die übergeordneten Schwerpunktthemen sollen sie auch noch als “normaler” Kommissar ein dazugehörendes Ressort übernehmen. So aufgewertet werden der Lette Valdis Dombrovskis, die Dänin Margrethe Vestager und der Niederländer Frans Timmermans, die alle drei auch schon in der bisherigen EU-Kommission unter Jean-Claude Juncker gearbeitet haben.Der Christdemokrat Dombrovskis erhält die Koordination für alle Wirtschaftsthemen. Zugleich wird er als Kommissar für die Finanzmärkte sein altes Aufgabengebiet weiterführen können. Er ist damit auch weiterhin für die Kapitalmarktunion verantwortlich. Dombrovskis werde die Arbeit anführen, wenn es darum gehe, Soziales und Markt in der Wirtschaft zusammenzubringen, erläuterte von der Leyen ihre Vorstellungen.Der Sozialdemokrat Timmermans wird die Arbeiten am “Green Deal” koordinieren. Von der Leyen hatte schon im Juli vor ihrer Wahl im EU-Parlament versprochen, einen solchen nachhaltigen Umbau in den ersten 100 Tagen ihrer Amtszeit in die Wege zu leiten. Dieser soll in der gesamten nächsten Dekade Investitionen von 1 Bill. Euro freisetzen. Die CDU-Politikerin betonte jetzt, der Grüne Deal solle “Europas Markenzeichen” werden. Es gehe hier auch um ein langfristiges wirtschaftliches Interesse.Der Liberalen Vestager wird die Koordinierung der weiteren Digitalisierung angetragen. Sie behält zugleich ihre Zuständigkeit für die Wettbewerbspolitik. Von der Leyen bezeichnete dies als “perfekte Kombination” von Themen. Vestager habe zudem in den vergangenen Jahren als Wettbewerbskommissarin “hervorragend gearbeitet”. “Geopolitische Kommission”Von der Leyen betonte, ihre Kommission werde eine “geopolitische Kommission” sein, die sich auch gegenüber Drittstaaten nicht nur für eine nachhaltige Politik einsetze, sondern die auch “Hüterin des Multilateralismus” sei. Die EU müsse sichtbar in der Welt sein, ihre Partnerschaft mit den USA ausbauen, ihre Beziehungen zu einem selbstbewussteren China definieren und für Länder unter anderem aus Afrika ein verlässlicher Nachbar sein. Einen eigenen Afrika-Kommissar, wie zwischenzeitlich gefordert, werde es aber nicht geben, weil dies von den afrikanischen Staaten als diskriminierend hätte verstanden werden können, so von der Leyen. Der derzeitige spanische Außenminister Josep Borrell wird neuer Außenbeauftragter der EU und auch Vizepräsident der EU-Kommission.Das heikle Thema der Rechtsstaatlichkeit erhält die Tschechin Vera Jourova, die derzeit Justiz und Verbraucherschutz verantwortet und künftig ebenfalls zu einer Vizepräsidentin aufsteigt. Sie wird sich damit künftig zusammen mit dem neuen Justizkommissar, dem bisherigen belgischen Außenminister Didier Reynders, unter anderem um die bereits laufenden Rechtsstaatsverfahren gegen Polen und Ungarn kümmern.Weitere Vizepräsidenten der EU-Kommission werden Dubravka Suica aus Kroatien und der bisherige Juncker-Sprecher Margaritis Schinas aus Griechenland. Suica soll demokratische Prozesse und Teilhabe verbessern, wozu von der Leyen auch den Umgang mit demografischen Prozessen zählt. Die ehemalige Bürgermeisterin von Dubrovnik soll sich in diesem Zusammenhang auch um Menschen kümmern, die sich abgehängt fühlen. Schinas` Ressort bekommt den Titel “Schutz unseres europäischen Lebensstils”. Dahinter versteckt sich allerdings vor allem die Migrations- und Asylpolitik. Von der Leyen stellte klar, dass eine Reform der Dublin-Regeln zu ihren Top-Prioritäten zähle.Die Französin Sylvie Goulard soll sich künftig um den europäischen Binnenmarkt kümmern. Dazu gehört auch die Industriepolitik und die Förderung des digitalen Binnenmarktes. Hier dürfte die frühere Europaabgeordnete eng mit Vestager zusammenarbeiten. Goulard wird zudem für die neue Generaldirektion “Verteidigungsindustrie und Raumfahrt” zuständig sein. Dahinter steht unter anderem ein gemeinsames Beschaffungswesen für die nationalen Verteidigungsressorts. Die EU werde niemals eine Militärunion werden, stellte von der Leyen klar.Als Nachfolger von Günther Oettinger erhält der Österreicher Johannes Hahn das Haushaltsressort. Er ist der Einzige im Team, der nun bereits seine dritte Amtszeit beginnt. Das wichtige Handelsressort erhält der Ire Phil Hogan, der bislang für die Landwirtschaftspolitik zuständig war. Diese wiederum wird dem Polen Janusz Wojciechowski zugeschlagen, gegen den derzeit noch Ermittlungen der EU-Antibetrugsagentur Olaf laufen. Der ebenfalls umstrittene Ungar Laszlo Trocsanyi, ehemals Justizminister unter Victor Orbán, wird mit dem Ressort “Nachbarschaftsbeziehungen und Erweiterung der EU” betraut. Gentiloni erhält WirtschaftDer frühere italienische Ministerpräsident Paolo Gentiloni wird Nachfolger von Pierre Moscovici als Wirtschaftskommissar und verantwortet damit künftig nicht nur die Steuerpolitik, sondern auch das Europäische Semester und damit die Haushaltskontrolle der Mitgliedstaaten. Von der Leyen betonte mit Blick auf mögliche künftige Auseinandersetzungen über den italienischen Haushalt, Gentiloni werde eng mit Dombrovskis und dem neuen italienischen Finanzminister, dem langjährigen Europaabgeordneten Roberto Gualtieri, zusammenarbeiten und eine “gute Balance” finden.Von der Leyen stellte klar, dass die britische Regierung im Falle einer Verschiebung des Brexit-Datums über den 31. Oktober hinaus noch einen Kommissar zu nominieren habe. Sie kündigte zugleich an, mit dem bisherigen Brexit-Chefunterhändler Michel Barnier über eine Verlängerung seiner Arbeit zu sprechen. Man werde seine Erfahrung noch benötigen, sagte sie.Für Themensetzung und Ressortverteilung erhielt von der Leyen viel Zustimmung, unter die sich allerdings auch eine Reihe kritischer Stimmen mischten. “So viel Verzahnung von politischer Agenda und Personaltableau gab es noch nie”, lobte etwa Linn Selle, Präsidentin der Europäischen Bewegung Deutschland (EBD). Der Zuschnitt der Portfolios sei spannend, die Zuordnung entlang der sechs Prioritäten auf der politischen Agenda der Kommissionspräsidentin durchaus elegant. Der Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) lobte vor allem die Besetzung der wirtschaftsrelevanten Ressorts mit “profilierten und qualifizierten Kandidaten”. Das sei ein wichtiges Signal in wirtschaftlich stürmischen Zeiten. Aus EU-Parlament auch KritikFür Diskussionsstoff sorgte vor allem die Besetzung des Wirtschaftsressorts mit dem Italiener Gentiloni. Der Vorstandsvorsitzende der Freiburger Denkfabrik Cep, Lüder Gerken, erklärte, von Dombrovskis werde nun wesentlich abhängen, ob der Stabilitäts- und Wachstumspakt wieder Gültigkeit erlange oder die mangelnde Haushaltsdisziplin einiger Euro-Staaten den Pakt endgültig zu Makulatur verkommen lasse. Von der Leyen gehe ein hohes Risiko ein, wenn sie Gentiloni ausgerechnet die Zuständigkeit zur Überwachung der nationalen Haushalte übertrage.”Dass nun ein Italiener den Problemstaat Italien überwachen soll, ist alles andere als eine ideale Konstellation”, sagte auch der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber. Gentiloni müsse klarstellen, dass er es mit den EU-Fiskalregeln ernst meine. Und Sven Giegold, grüner EU-Abgeordneter bemerkte: “Gentiloni hat einen Interessenkonflikt, wenn er auf die Einhaltung der Defizitregeln seiner eigenen Regierung achten muss.” Giegold sieht aber vor allem Vestager und Dombrovskis als “die richtigen Personen auf dem richtigen Posten” an. Der SPD-Abgeordnete Jens Geier kritisierte die Besetzung des Binnenmarkt-Ressorts. Goulard habe in ihrer Zeit im EU-Parlament “eine neoliberale Agenda propagiert”.