Arbeitsmarkt

So viele Lehrstellen unbesetzt wie noch nie

Trotz Fachkräftemangel und mehr geschlossenen Ausbildungsverträge sind 2023 so viele Lehrstellen unbesetzt geblieben wie noch nie. Vor allem, weil geeignete Bewerber fehlen.

So viele Lehrstellen unbesetzt wie noch nie

So viele Lehrstellen unbesetzt
wie noch nie

Stärkster Reallohnanstieg seit zehn Jahren

ba Frankfurt
Von Alexandra Baude, Frankfurt

Mehr geschlossene Ausbildungsverträge, aber dennoch ein Rekordhoch bei den unbesetzten Ausbildungsplätzen − und dies trotz des zunehmenden Fachkräftemangels. Laut dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), dem Forschungsinstitut der Bundesagentur für Arbeit (BA), konnten im vergangenen Jahr 35% der angebotenen Ausbildungsplätze nicht besetzt werden. Eine DIHK-Umfrage hatte für 2023 ebenfalls ein Rekordhoch bei unbesetzten Lehrstellen ergeben, und zwar von 49%. Zumeist, weil es schlicht keine geeigneten Bewerber gab. Im Jahr 2010 waren laut IAB noch 15% der Lehrstellen offen geblieben.

Bewerbermarkt

„Die Befunde auf Basis des IAB-Betriebspanels zum Ausbildungsmarkt spiegeln die Entwicklung seit den 2010er Jahren von einem Arbeitgeber- zu einem Bewerbermarkt wider“, erklärt IAB-Direktor Bernd Fitzenberger. „Hiermit verstärkt sich der Fachkräftemangel, ausgelöst durch eine zurückgehende Bewerberzahl bei einem insgesamt weiterhin hohen Ausbildungsstellenangebot.“ Zugleich würden die Passungsprobleme im Ausbildungsmarkt zunehmen: Knapp 64.000 Jugendliche − 5% mehr als im Vorjahr − hatten Ende September 2023 noch keinen Ausbildungsplatz gefunden. Zudem hatten 2022 19% der Personen zwischen 20 und 34 Jahren keinen Berufsabschluss. Dabei war der Anteil der ausbildenden Betriebe mit 30% in den Jahren 2010 bis 2023 recht stabil, wenn auch der Anteil ausbildungsberechtigter Betriebe zurückgegangen ist.

Bau und Friseur wenig begehrt

„Insgesamt ist festzuhalten, dass die Rekrutierungsprobleme nahezu alle Segmente des Ausbildungsmarkts erreicht haben, in denen es zu Beginn der 2010er Jahre noch kaum Besetzungsprobleme gab“, so IAB-Forscherin Barbara Schwengler. Die größten Schwierigkeiten gebe es im Baugewerbe und bei den personennahen Dienstleistungen, etwa dem Friseurgewerbe. Fast die Hälfte aller Ausbildungsplätze blieb hier unbesetzt. Die Nichtbesetzungsquote sinkt dabei auch mit der Betriebsgröße: Kleinstbetriebe konnten rund 57% der verfügbaren Ausbildungsplätze nicht besetzen, in Großbetrieben waren es 12%.

Lockmittel Geld

Die Betriebe erklären die Besetzungsprobleme vor allem mit wenig attraktiven Arbeitsbedingungen und dem mitunter schlechten Image mancher Ausbildungsberufe. Um die Attraktivität der Ausbildung zu erhöhen, setzen Betriebe vor allem auf Prämien und Sonderzahlungen, etwa bei bestandenen Prüfungen oder Urlaubs- und Weihnachtsgeld. Insgesamt zahlten 62% der Betriebe solche Leistungen.

Stärkster Reallohnanstieg seit zehn Jahren

Über mehr Geld dürfen sich auch die Tarifbeschäftigten hierzulande freuen: Laut der Halbjahresbilanz des WSI-Tarifarchivs steigen die Tariflöhne in diesem Jahr nominal um durchschnittlich 5,6%. Nachdem die Inflationsrate auf durchschnittlich 2,4% im ersten Halbjahr gefallen ist, ergibt sich real eine Lohnsteigerung von etwa 3,1%. „Seit mehr als einem Jahrzehnt ist dies der mit Abstand höchste jährliche Reallohnzuwachs bei den Tariflöhnen“, hieß es beim WSI. Allerdings gingen dem drei Jahre mit Reallohnverlusten voraus.

Ausgleich, aber keine vollständige Kompensation

„In diesem Jahr schaffen die kräftigen Reallohnzuwächse erstmals einen deutlichen Ausgleich für den massiven Reallohnrückgang der Jahre 2021 und 2022 und das kleine Minus 2023“, sagt der Leiter des WSI-Tarifarchivs, Thorsten Schulten. „Die Kaufkraftverluste der Vorjahre konnten damit etwa zur Hälfte kompensiert werden.“ Insgesamt liege das preisbereinigte Niveau der Tariflöhne jedoch immer noch deutlich unter dem Spitzenwert des Jahres 2020. Ökonomen setzen darauf, dass die deutlichen Reallohnzuwächse die konjunkturelle Entwicklung stabilisieren. Derzeit ist allerdings die Stimmung der Verbraucher trotz leichter Zuwächse immer noch niedrig. Größere Anschaffung werden weiter eher verzögert und das Geld gespart, wie auch die GfK-Konsumklimastudie im Juli ergab.

Schlechte Beurteilung für Job-Turbo

Nicht zuletzt wegen der zunehmenden Insolvenzen sowie zahlreicher Ankündigungen von Unternehmen, Jobs zu streichen, bleiben die Verbraucher zurückhaltend. Auf der anderen Seite gilt der Fachkräftemangel laut der DIHK-Frühjahrsumfrage mehr als der Hälfte der Unternehmen als Geschäftsrisiko. Der Job-Turbo etwa sollte es Unternehmen daher leichter machen, mit geflüchteten Fachkräften in Kontakt zu kommen − allerdings sind dabei die bürokratischen Hindernisse immer noch zu hoch, wie die jüngste Randstad-Ifo-Personalleiterbefragung zeigt. „Viele Personalleiter erwarten einen eher geringen Nutzen vom vorgeschlagenen Job-Turbo und dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz“, sagt Ifo-Forscherin Daria Schaller. Für 39% der Befragten bieten diese Maßnahmen den Firmen keine praktischen Hilfen. 34% der Befragten ist der Weiterbildungsbedarf im Betrieb zu hoch, um diese Unterstützung zu nutzen. Und für je rund 30% bleiben die Beschäftigungshürden zu hoch und Visumanträge dauern weiterhin zu lange.

Kein zusätzlicher Anreiz

Es gibt aber auch positive Ergebnisse: 23% der Unternehmen sagten, dass Fachkräfte eher verfügbar sind, und 21% stellten niedrigere Sprachbarrieren durch verpflichtende Kurse vor der Jobvermittlung fest. Die Hälfte der befragten Firmen allerdings sehen keinen zusätzlichen Anreiz, Fachkräfte aus dem Ausland einzustellen. Nach Einführung des Job-Turbos und des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes planen 30%, ihre gewohnte Einstellungspraxis nicht zu ändern.

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