Industrie

Sonderfaktoren sorgen für unerwartet kräftigen Auftragseingang

Großaufträge haben der deutschen Industrie unerwartet das kräftigste Auftragsplus seit drei Jahren beschert. Die Zusammensetzung der Neubestellungen sorgt allerdings bei Ökonomen weiter für Skepsis mit Blick auf den weiteren Jahresverlauf.

Sonderfaktoren sorgen für unerwartet kräftigen Auftragseingang

Sondereffekte treiben Auftragseingang

Großaufträge bringen deutscher Industrie unerwartet stärkstes Bestellplus seit drei Jahren – Abwärtstrend ungebrochen

ba Frankfurt

Großaufträge haben der deutschen Industrie im Juni das kräftigste Auftragsplus seit drei Jahren beschert. Gerade die Zusammensetzung der Bestellungen sorgt aber bei Ökonomen für Skepsis mit Blick auf den weiteren Jahresverlauf. Dank geringeren Materialmangels stützen die Auftragsbücher die Produktion.

Die deutsche Industrie hat im Mai unerwartet so viele neue Aufträge eingesammelt wie zuletzt vor knapp drei Jahren. Allerdings ist damit die Scharte von März noch nicht ausgewetzt, und es sind vor allem die volatilen Großaufträge beziehungsweise der Bereich „sonstiger Fahrzeugbau“, der für einen Gutteil des Zuwachses steht. Ökonomen zeigen sich daher nur verhalten optimistisch für die stark exportlastige Industrie, denn die Neubestellungen zeigten sich bereits im gesamten vergangenen Jahr schwach, und die globale Konjunkturflaute verspricht nur spärliche Nachfrage. Der ebenfalls kräftig ausgefallene Umsatzanstieg sowie der immer geringer werdende Materialmangel deuten aber für die am Freitag zur Veröffentlichung anstehenden Industrieproduktion ebenfalls ein Plus an.

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Laut Statistischem Bundesamt (Destatis) legten die Neubestellungen im Mai preis-, saison- und kalenderbereinigt um 6,4% im Monatsvergleich zu. Ein kräftigeres Plus hatte es zuletzt zur Hochzeit der ersten Coronawelle gegeben, nämlich im Juni 2020 mit 28,5%. Ökonomen hatten im Schnitt lediglich ein Wachstum von 1,0% erwartet. Zudem wurde der Vormonatswert nach oben revidiert: Statt eines Rückgangs um 0,4% meldet Destatis für April nun einen Zuwachs von 0,2%. Dieser folgt allerdings einem starken Einbruch um 10,9% im März.

Rüstungsgüter stark gefragt

Die Skepsis der Ökonomen speist sich vor allem aus der Zusammensetzung des Auftragswachstums: Ohne Großaufträge wäre es nur ein Plus von 3,2% gewesen. Rechnet man die stark schwankende Komponente des „sonstigen Fahrzeugbaus“, also den Bau von Schiffen, Schienenfahrzeugen, Luft- und Raumfahrzeugen sowie von Militärfahrzeugen heraus, ergibt sich nur noch ein Plus von 2,4%, wie Commerzbank-Ökonom Ralph Solveen anmerkt. Dieser Bereich verzeichnete dank Großaufträgen insgesamt ein Plus von 137,1%, wie Destatis berichtet. Jörg Angelé, Senior Economist beim Assetmanager Bantleon, vermutet, dass ein bedeutender Anteil auf Rüstungsgüter zurückzuführen ist, für den die Statistiker keine Zahlen vorlegen – denn für Wasser, Schiene und Luft werden Zuwächse zwischen 21,0% und 65,0% ausgewiesen. Im Juni sei daher eine ausgeprägte Gegenbewegung zu erwarten, mahnt Angelé.

Einen stark positiven Einfluss auf die Gesamtentwicklung hatten laut Bundeswirtschaftsministerium insbesondere die gewichtigen Bereiche Kfz und Kfz-Teile (+8,6 %) sowie pharmazeutische Erzeugnisse (+5,7 %). Dagegen kam es bei den Herstellern elektrischer Ausrüstungen (−15,0 %) und bei Gebrauchsgütern (−9,4 %) zu deutlichen Rückgängen. Regional gesehen hätten sich die Zuwächse gleichmäßig verteilt, betonte das Ministerium: Nach Rückgängen im März und April stiegen die Auslandsbestellungen spürbar um 6,4%, wobei besonders die Nachfrage aus dem Euroraum wieder anzog (+6,5 %). Die Inlandsaufträge stiegen um 6,2%.

Auch wenn sich die zuletzt stark schwankenden Auftragseingänge stabilisiert haben, waren sie sowohl im Zweimonatsvergleich (−2,6 %) als auch im Dreimonatsvergleich (−6,1%) im Vergleich zur jeweiligen Vorperiode weiter rückläufig, wie sowohl in Berlin als auch in Wiesbaden vorgerechnet wird. Das Bundeswirtschaftsministerium zeigte dennoch eine Spur Zuversicht: „Vor dem Hintergrund des eingetrübten Geschäftsklimas im verarbeitenden Gewerbe deutet sich eine leichte, wenn auch verhaltene Ausweitung der Industrieproduktion im weiteren Verlauf an.“

Denn der Auftragsbestand liege trotz fortschreitenden Abbaus „noch immer auf historisch hohem Niveau“, die Nachfrage nach Investitionsgütern habe sowohl im In- als auch im Ausland merklich zugelegt, und die Industrieumsätze wiesen wieder aufwärts. Im Mai lag der reale Umsatz saison- und kalenderbereinigt 2,7% über dem Niveau von April bzw. 4,0% über dem Vorjahreswert. Für April hat Destatis den Umsatz im Monatsvergleich von −1,2% auf −0,2% nach oben revidiert.

Skepsis für zweites Halbjahr

Das zweite Halbjahr, so erwarten Ökonomen, dürfte für die Industrie dennoch schwierig werden. „Das schwache weltwirtschaftliche Umfeld wird kaum neuen Auftragswind entfachen“, mahnt etwa Alexander Krüger, Chefvolkswirt der Hauck Aufhäuser Lampe Privatbank. Für einen freundlichen Konjunkturausblick bräuchte es diesen aber. Da sich „in mehr und mehr Branchen die Auftragsbestände zumindest normalisiert zu haben scheinen“, dürften die Unternehmen ihre Produktion an die schwächere Nachfrage anpassen, erwartet auch Commerzbank-Ökonom Solveen: „Dies wird voraussichtlich dazu beitragen, dass die deutsche Wirtschaft nach einem sich abzeichnenden Plus im zweiten Quartal in der zweiten Jahreshälfte wieder schrumpfen wird.“

Die immer geringer werdende Materialknappheit sorgt dafür, dass dass sich die Auftragsbücher zusehends leeren. Im Juni berichteten noch 31,9% der vom Ifo-Institut befragten Firmen von Engpässen. Im Mai waren es noch 35,3%. Der langfristige Mittelwert liegt allerdings bei 15,2%. „Die Entspannung kann dem Stimmungsabschwung in der Industrie leider kaum etwas entgegensetzen“, sagte Klaus Wohlrabe, Leiter der Ifo-Umfragen. „Aufträge können zwar schneller abgearbeitet werden, dennoch kommen im Moment zu wenige neu herein.“ Im Juni berichteten zwar in der Mehrheit der Branchen nur mehr weniger als 20% der Befragten über Probleme bei Vorprodukten, doch an der Zweiteilung der Industrie hat sich nichts geändert. Denn in der Elektroindustrie, dem Maschinenbau und dem Automobilbau berichten weiterhin mehr als 50% von Materialknappheiten, wobei sich aber auch hier die Lage entspannte.

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