Sorge vor Kollateralschäden
Die Neubesetzung der EU-Top-Jobs droht auch das deutsch-französische Verhältnis zu belasten. Grund sind unterschiedliche Bewertungen des Spitzenkandidaten-Prozesses. EU-Ratspräsident Donald Tusk hat das Mandat bekommen, bis zum nächsten Gipfel Kompromisse mit dem EU-Parlament auszuloten. ahe Aachen/Brüssel – Die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer hat davor gewarnt, dass der aktuelle Personalpoker in der EU auch die Beziehungen zwischen Berlin und Paris nachhaltig beeinträchtigen könnte. Man müsse aufpassen, dass “aus dieser Frage nicht ein deutsch-französischer Machtkampf wird”, betonte sie auf einer Veranstaltung am Rande der Karlspreisverleihung in Aachen. Dies wäre ansonsten sehr belastend für die anstehende neue Legislaturperiode in Europa. Man brauche in der EU auch in den kommenden Jahren die deutsch-französische Achse. Aus der deutschen Kreditwirtschaft kamen ähnliche Stimmen: Alle hofften, dass die aktuelle Suche nach dem künftigen EU-Spitzenpersonal nicht zu einem Zerwürfnis zwischen Deutschland und Frankreich führe, stellte Gerhard Hofmann, Vorstand im Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR), in Aachen klar.Hintergrund der Debatte ist die klare Ablehnung des Spitzenkandidaten-Prozesses durch Emmanuel Macron. Auf dem informellen EU-Gipfel in dieser Woche in Brüssel hatte der französische Präsident betont, für die Spitze der nächsten EU-Kommission sei ein Kandidat mit starker exekutiver Erfahrung gefragt. Der CSU-Politiker Manfred Weber, der Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei (EVP), wird daher von Macron als Juncker-Nachfolger abgelehnt. Allerdings hat sich der Franzose bislang auch noch nicht klar zu seinem eigenen Favoriten geäußert: Dieser könnte sowohl die Dänin Margrethe Vestager sein, die aus derselben liberalen Parteienfamilie kommt, oder auch Macrons Landsmann Michel Barnier, der kein Spitzenkandidat war.Das Vorgehen von Macron und seiner Liberalen-Fraktion sei abenteuerlich, kritisierte der Chef der CDU/CSU-Gruppe im EU-Parlament, Daniel Caspary. Es sei “sehr schwach”, dass Macron das Spitzenkandidaten-Prinzip ablehne. Das kritisierte auch SPD-Gruppenchef Jens Geier und drohte: “Wir werden jeden Kandidaten durchfallen lassen, der sich nicht als Spitzenkandidat zur Wahl gestellt hat.” Notfalls werde man einen institutionellen Machtkampf austragen. Verhandlungsmandat für TuskNach dem Gipfel hatte auch EU-Ratspräsident Donald Tusk am Dienstagabend noch einmal gegen das Spitzenkandidaten-Modell geschossen, das bedeutet, dass nur derjenige zum EU-Kommissionspräsidenten gewählt werden kann, der sich zuvor im Wahlkampf auch als Spitzenkandidat den Bürgern gestellt hat. Dies wird nach Meinung des EU-Parlaments zu einer stärkeren Demokratisierung der Europäischen Union beitragen.Tusk betonte hingegen, es gebe “keinen Automatismus” und niemand solle bei der Suche nach einem Juncker-Nachfolger ausgeschlossen werden. Allerdings sei auch niemand unter den Staats- und Regierungschefs an einem interinstitutionellen Konflikt in der EU interessiert. Der künftige Kommissionschef solle daher eine “doppelte Mehrheit” erhalten: eine qualifizierte Mehrheit vom Europäischen Rat sowie eine Mehrheit vom Europäischen Parlament.Tusk erhielt von den Regierungschefs ein Mandat, zusammen mit dem EU-Parlament mögliche Lösungen in dem Personalpoker zu sondieren. Ziel sei es, möglichst schon beim nächsten EU-Gipfel am 20./21. Juni ein Verhandlungsergebnis auf dem Tisch zu haben, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel in Brüssel. Die CDU-Politikerin setzte sich – auch im Namen der deutschen Regierungskoalition – noch einmal nachdrücklich für den Spitzenkandidaten-Prozess ein. Sie selbst unterstütze dabei weiterhin Manfred Weber.Auch Merkel warb auf dem Gipfel für einen Interessenausgleich bei der Vergabe der EU-Top-Jobs, zu denen auch noch die Führungspositionen im Rat, im Parlament, in der Europäischen Zentralbank (EZB) und eventuell auch noch der Eurogruppe gehören. Man müsse aufpassen, bei der Suche nach Kandidaten “keine Wunden zu reißen”, betonte Merkel. Ansonsten würden auch künftige Aufgaben problematisch werden, bei denen Einstimmigkeit gefragt sei, wie etwa bei der Aufstellung des nächsten mittelfristigen Finanzrahmens der EU ab 2021.CDU-Chefin Kramp-Karrenbauer verwies in dem Zusammenhang auch auf künftige Freihandelsabkommen, möglicherweise auch mit den USA. Es sei eine große Herausforderung, hier zu einer einheitlichen Position zu kommen, auch wenn es in Handelsfragen unterschiedliche Interessen von Deutschland und Frankreich gebe, sagte sie. Auch beim Kampf gegen den Klimawandel komme es künftig entscheidend auf das deutsch-französische Verhältnis an.