Sorgen um deutsche Wirtschaft nehmen zu
Sorgen um deutsche Wirtschaft nehmen zu
Konjunkturtableau zeigt geringere Erwartungen für 2023 – IAB-Studie: Arbeitskräftemangel bremst Beschäftigungszuwachs
ba Frankfurt
Das Konjunkturtableau der Börsen-Zeitung und des ZEW zeugt von der schwindenden Konjunkturzuversicht: Deutschland wird sich in diesem Jahr unterdurchschnittlich entwickeln, 2024 aber wieder zur Euro-Wirtschaft aufschließen. Eine IAB-Studie belegt, wie sehr die Arbeitskräfteknappheit das Beschäftigungswachstum bremst.
Die noch zu Jahresbeginn herrschende Konjunkturzuversicht hat sich zur Jahresmitte verflüchtigt. Seit klar ist, dass die deutsche Wirtschaft im Winterhalbjahr mit den beiden Minusquartalen qua Definition in die technische Rezession gerutscht ist, reduzieren Institute und Bankvolkswirte ihre Wachstumsprognosen reihenweise. Dies spiegelt sich nun auch im aktuellen Konjunkturtableau der Börsen-Zeitung und des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) wider. Deutschland rangiert in den Augen der Prognostiker weiter auf den hinteren Rängen der Euro-Länder. Dem Euroraum insgesamt wird in diesem Jahr mehr als deren größter Volkswirtschaft zugetraut, im kommenden Jahr soll sich das Wachstum wieder angleichen. Zudem konstatieren sie einen nur allmählichen Rückgang der Inflation und noch keine Entspannung bei der Geldpolitik.
1,8 Millionen Jobs mehr
Als eine der Herausforderungen für die hiesige Wirtschaft gilt der zunehmende Fachkräftemangel. Eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) zeigt, dass die Beschäftigung zwischen 2010 und 2022 um 1,8 Millionen zusätzliche Jobs hätte steigen können, wenn die Arbeitsmarktanspannung in dieser Zeit konstant geblieben wäre. Allerdings hatte sich in diesem Zeitraum das Verhältnis aus offenen Stellen und arbeitsuchenden Personen – also die Arbeitsmarktanspannung – mehr als verdreifacht: Mitte 2022 gab es 0,56 offene Stellen pro arbeitsuchende Person, 2010 lag der Wert noch bei 0,17. Den Anstieg führt das IAB in erster Linie auf die Zunahme der offenen Stellen in diesem Zeitraum um 139% auf rund 2 Millionen zurück. Zugleich „sank die Zahl der arbeitsuchenden Personen um 28% auf rund 4 Millionen“, erklärte IAB-Experte Mario Bossler.
Während in diesem Zeitraum das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 1,5% im Schnitt pro Jahr gestiegen ist, „erlebte der Arbeitsmarkt den größten Beschäftigungsaufschwung seit der Wiedervereinigung“ mit einem Anstieg der sozialversicherungspflichtigen Jobs und Minijobs um 5,9 Millionen auf das Rekordhoch 2022 bei 37,5 Millionen, hieß es beim IAB. Gleichzeitig bleibe die Nachfrage nach zusätzlichen Arbeitskräften sehr groß: Rund 4% der Arbeitsnachfrage bleibe ungedeckt.
Laut IAB hat sich die Anspannung am Arbeitsmarkt über alle Berufsbereiche hinweg erhöht. Regional zeigt sie sich verstärkt im Süden. Dort übersteigt die Zahl der offenen Stellen die Zahl der arbeitsuchenden Personen bereits. Eine vergleichsweise niedrige Anspannung zeigt sich laut IAB in vielen Kreisen Nordrhein-Westfalens sowie im ostdeutschen Bundesgebiet.
Bei den Unternehmen führt die höhere Arbeitsmarktanspannung zu deutlich gestiegenen Einstellungskosten wegen der geringeren Zahl an Bewerbungen, einer verlängerten Dauer der Personalsuche sowie einer höheren Anzahl an Suchkanälen. Eine Verdoppelung der Anspannung führe zu einer Erhöhung der Einstellungskosten um 13,7% im Schnitt – die Löhne allerdings stiegen dann nur um 0,9%. Auch bei der Qualifikation machten die Firmen nur geringe Konzessionen.
Trotz erster Bremsspuren am Jobmarkt erwarten Experten allerdings, dass er robust bleibt: Im Konjunkturtableau wird für 2023 eine Arbeitslosenquote von 5,4% prognostiziert, kommendes Jahr wird ein Absinken auf 5,2% erwartet. Angesichts der – trotz des Rückenwinds vom Arbeitsmarkt – weiter sehr zurückhaltenden privaten Haushalte und eines geringeren Staatskonsums dürfte das BIP 2023 um 0,3% schrumpfen. Im Vormonat waren die Auguren noch von einem Nullwachstum ausgegangen. Die Entwicklung ist unterdurchschnittlich, wie ZEW-Experte Michael Schröder erläutert: Unter den 20 Euro-Mitgliedsländern rangierte Deutschland in Bezug auf die BIP-Entwicklung im ersten Quartal 2023 nur auf Platz 15. In immerhin 13 Mitgliedsländern des Eurogebiets lag ein (positives) Wachstum des realen BIP in diesem Quartal vor, während es in sieben Ländern zurückging. Für das kommende Jahr fallen die Prognosen mit 1,3% für das Eurogebiet und nun 1,2 (zuvor: 1,3)% für Deutschland nahezu gleich aus.
Auch in Sachen Inflation sieht der Ausblick für den Euroraum besser aus: 2023 wird für Deutschland eine Jahresrate von 6,0% und für das Eurogebiet von 5,6% erwartet. Für 2024 sehen die Experten mit 2,6% im Euroraum einen deutlicheren Rückgang in Richtung der 2%-Zielmarke der EZB. Für Deutschland liegt die Prognose mit 2,7% nur wenig darüber. Die Prognostiker sehen laut Schröder derzeit noch keine Entspannung bei der Geldpolitik, aber auch kein weiteres Anziehen der kurzfristigen Zinsen.