Sorgen um die Schuldentragfähigkeit
Die EU-Kommission hat die Euro-Staaten dazu aufgerufen, ihre fiskalpolitischen Coronahilfen nicht zu früh zurückzufahren. Die Brüsseler Behörde warnt allerdings davor, bei den Ausgaben die mittelfristige Schuldentragfähigkeit aus dem Auge zu verlieren. Die Lage ist hier insbesondere in sechs Euro-Ländern kritisch.ahe Brüssel – Die Europäische Kommission hat Belgien, Frankreich, Griechenland, Italien, Portugal und Spanien vor dem Hintergrund der milliardenschweren Corona-Hilfsprogramme dazu aufgefordert, auf ihre mittelfristige Schuldentragfähigkeit zu achten. Kommissionsvize Valdis Dombrovskis sagte in Brüssel, es sei wichtig, dass gerade diese Euro-Länder sicherstellten, “dass bei ihren konjunkturstützenden Maßnahmen die mittelfristige Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen gewahrt bleibe”. Alle sechs Staaten hatten bereits vor dem Ausbruch der Pandemie besonders hohe Schuldenstände und werden in diesem und im kommenden Jahr eine Schuldenlast von deutlich mehr als 100 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) verzeichnen.Als Aufforderung an die sechs Länder, jetzt ihre Coronahilfen herunterzufahren, will die EU-Kommission ihre Warnung aber ausdrücklich nicht verstanden wissen. Im Gegenteil: Sie forderte alle Länder des Euroraums auf, die Unterstützungsmaßnahmen nicht vorschnell herunterzufahren und diese auch 2021 noch fortzusetzen. Sobald die epidemiologischen und wirtschaftlichen Bedingungen dies zuließen, müsse die Haushaltspolitik neu ausgerichtet werden, sagte EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni. “Vor dem Hintergrund des derzeitigen Einbruchs bei der Konjunkturerholung und der enormen Unsicherheit müssen die Regierungen aber weiterhin Maßnahmen zur Bewältigung der Krise ergreifen und die Erholung unterstützen.” Gentiloni fordert AusnahmenIn einem gestern veröffentlichten Interview mit der “Wirtschaftswoche” sprach sich Gentiloni zudem dafür aus, staatliche Investitionen in den Klimaschutz und für Digitales künftig nicht mehr auf die Staatsschulden anzurechnen. Die offiziellen Quoten für die Berechnung der Staatsverschuldung könnten so sinken. “Wenn wir uns darauf einigen, dann wird das den Schuldenstand verändern”, sagte Gentiloni. “Das könnte eine Möglichkeit sein, öffentliche Schulden unter Kontrolle zu halten.”Die von den Euro-Staaten für 2021 in Brüssel eingereichten Haushaltspläne wurden von der EU-Kommission allesamt genehmigt – auch weil die üblicherweise geltenden europäischen Haushaltsregeln auch im nächsten Jahr noch ausgesetzt bleiben. Die meisten nationalen Maßnahmen gegen die Coronakrise stützten die Konjunktur vor dem Hintergrund der derzeit erheblichen Unsicherheit, hieß es.Kritik kam aus dem EU-Parlament. Es dränge sich der Eindruck auf, dass Gentiloni die derzeit ausgesetzten Schuldenregeln am liebsten nie wieder in Kraft setzen würde, monierte der CSU-Finanzexperte Markus Ferber. Eines sei aber klar: Die Schuldenregeln seien temporär ausgesetzt, nicht abgeschafft. “Wir müssen sehr aufpassen, dass vor lauter Corona-Ausgabenprogrammen nun nicht der absolute Dammbruch bei der Staatsverschuldung erfolgt. Ansonsten steuern wir auf direktem Wege auf die nächste Schuldenkrise zu.”Die EU-Kommission verwies darauf, dass die mittelfristige Tragfähigkeit der Ausgaben die Grundvoraussetzung für Abweichungen von den normalerweise geltenden Haushaltsanforderungen im Rahmen der derzeit gezogenen “allgemeinen Ausweichklausel” sei. Kritisch sieht die Kommission in diesem Zusammenhang auch Teile der Budgetplanungen in Frankreich, Italien, Litauen und der Slowakei. Die in diesen vier Ländern geplanten Anti-Corona-Maßnahmen seien weder befristet worden, noch würden sie durch Ausgleichsmaßnahmen kompensiert, monierte Dombrovskis.Deutschland erhielt für seine Haushaltsplanung für 2021 insgesamt gute Bewertungen. Allerdings gehört Deutschland dafür zu den zwölf Ländern, bei denen die EU-Kommission schon vor Ausbruch der Pandemie makroökonomische Ungleichgewichte festgestellt hatte. Diese sollen nun noch einmal neu bewertet werden.Als “entscheidend” für die weitere Erholung der Wirtschaft von den Auswirkungen der Pandemie sieht die EU-Kommission den geplanten Wiederaufbaufonds an, der derzeit von Polen und Ungarn blockiert wird (siehe nebenstehender Bericht). Dombrovskis sprach von einem “finanziellen Anker”. Es müsse jetzt eine schnelle Einigung geben.