Spanien gerät erneut unter Druck
Neue unerfreuliche Nachrichten und die anhaltende Ungewissheit über das Wann und Ob eines zusätzlichen Hilfsantrags haben das Vertrauen der Investoren in das krisengeschüttelte Spanien erneut sinken lassen.wf/ae/fed Berlin/Madrid/Brüssel – Der konservative Regierungschef Mariano Rajoy hat in einem Zeitungsinterview betont, nur dann einen Antrag auf finanzielle Hilfe durch den Euro-Rettungsschirm stellen zu wollen, wenn die Zinskosten über einen langen Zeitraum auf zu hohem Niveau bleiben sollten. Er bestätigte damit zwar einerseits seine grundsätzliche Bereitschaft, den ESM in Anspruch zu nehmen, wenn es nötig werden sollte. Andererseits wird die Ansage als Signal gewertet, dass Spanien einen solchen Schritt möglichst lange hinausschieben möchte.Seit Tagen wird von Euro-Diplomaten davor gewarnt, die Geduld der Investoren zu überfordern. Ein Hilfsantrag als Voraussetzung für Anleihekäufe des Euro-Schirms (Primärmarkt) und möglicherweise auch der Europäischen Zentralbank (Sekundärmarkt) sei eingepreist. Eine Hängepartie könnte eine erneute Eskalation der Staatsschuldenkrise provozieren.Ebenfalls zur Verunsicherung trug bei, dass die Kontroverse über den Einsatz des Euro-Schirms ESM zur direkten Bankenkapitalisierung neu entfacht worden ist. Die Euro-Nordstaaten Niederlande, Finnland und Deutschland erklärten in einem gemeinsamen Papier, ihrem Verständnis nach solle der ESM keine Altlasten übernehmen – vielmehr nur Banken finanziell helfen, die unter einer europäischen Bankenaufsicht in Probleme geraten sind. Damit signalisieren die Nordstaaten, dass Spanien die Rekapitalisierung der aktuell notleidenden Banken nicht auf den ESM abwälzen können soll. Widerspruch aus dem Süden ist absehbar. Bereits gestern ging die EU-Kommission vorsichtig auf Distanz zu den Nordstaaten. Ein Sprecher unterstrich, das Ziel sei, das Instrument direkter Bankenhilfen “rasch” einsetzen zu können.Neben diesen ungeklärten Fragen sorgten ungünstige Nachrichten für schlechte Stimmung. Der Banco de España schockte mit der Prognose, dass sich die Wirtschaft des Landes zwischen Juli und September in einem “signifikativen Rhythmus” abgeschwächt habe. Außerdem gab es in der Nacht zum Mittwoch Ausschreitungen nach den Demonstrationen gegen die Sparpolitik der Regierung. Und: In Katalonien wurden die Wahlen um zwei Jahre auf den 25. November vorgezogen. Das Streben nach Unabhängigkeit in der wirtschaftlich traditionell starken, derzeit aber nahezu bankrotten Region Katalonien beunruhigt immer mehr Unternehmen und Investoren.Eigentlich sollte gestern zumindest eine andere Unsicherheit ausgeräumt werden. Die EU-Vertragsstaaten des ESM hatten vor, eine völkerrechtlich bindende Erklärung zum Vertragswerk abzunicken. Nachspiel bei ESM-ErklärungAllerdings gab es eine Kontroverse über einen – rechtlich unerheblichen – Begleittext, die die gemeinsame Billigung hinauszögerte und ein kurzes Nachspiel erzwang. Nachdem der Zwist inzwischen ausgeräumt werden konnte, soll die Erklärung am heutigen Donnerstag angenommen werden, um den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts Rechnung zu tragen und den Weg zum Inkrafttreten des ESM freizumachen.Das Gericht hatte darauf gedrungen, dass die deutschen Risiken aus dem ESM 190 Mrd. Euro nicht übersteigen dürften. Zugleich hatte es die umfassende Information des Bundestags verlangt. Die gemeinsame Erklärung stellt klar, dass der Vertrag nicht so ausgelegt werden darf, dass höhere als die vereinbarten Zahlungsverpflichtungen entstehen, und dass die im Vertrag geregelte berufliche Schweigepflicht sowie die Unverletzlichkeit von Unterlagen nicht gegenüber dem Parlament gelten.Die Erklärung wird nach Unterzeichnung in Brüssel dem Generalsekretariat des EU-Rates notifiziert. Deutschland will unmittelbar danach selbst den Vertrag ratifizieren und damit den ESM in Kraft setzen.——Verfahrensschritte zum Inkrafttreten des ESM- Das Bundeskabinett hat am Vormittag eine gemeinsame “interpretative Erklärung” zur Klarstellung der Auslegung des ESM-Vertrags gebilligt. Der Text war mit allen ESM-Vertragsstaaten abgestimmt.- Die Botschafter der ESM-Vertragsstaaten wollen heute Vormittag die völkerrechtlich bindende Erklärung am Rande des Allgemeinen Rates der Ständigen Vertreter annehmen.- Anschließend wird die Erklärung dem Generalsekretariat des Rates der Europäischen Union als Depositar des ESM-Vertrages notifiziert.- Deutschland wird bei der anschließenden Hinterlegung seiner Ratifikationsurkunde in einer zusätzlichen einseitigen Erklärung Bezug auf die gemeinsame Erklärung nehmen.- Da die Erklärung lediglich den Inhalt ESM-Vertrages klarstellt, ist nach Auffassung der Bundesregierung keine erneute Zustimmung durch Bundestag und Bundesrat notwendig.- Die konstituierende Sitzung der ESM-Gouverneure ist für den 8. Oktober geplant. wf——