WAHL DER EU-KOMMISSIONSPRÄSIDENTIN -- CHRONIK

Spitzenkandidaten, Blockaden und Überraschungen

Wie Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen die neue Präsidentin der Europäischen Kommission wurde

Spitzenkandidaten, Blockaden und Überraschungen

November/Dezember 2018: Auf dem EVP-Kongress in Helsinki wird Manfred Weber (CSU) im November mit knapp 80 % Zustimmung zum Spitzenkandidaten der Europäischen Volkspartei für die Europawahl gewählt. Die europäischen Sozialdemokraten bestimmen im Dezember auf einem Parteitag in Lissabon den Niederländer Frans Timmermans zu ihrem Spitzenkandidaten. In den darauf folgenden Wochen einigen sich auch die Grünen, Linken und die Rechtskonservativen auf Spitzenkandidaten. Die europäischen Liberalen stellen ein siebenköpfiges Spitzenteam auf, zu dem auch die Dänin Margrethe Vestager gehört.10. Mai: Bei einem EU-Sondergipfel im rumänischen Sibiu stellen Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und weitere liberale Regierungschefs das Spitzenkandidaten-Prinzip öffentlich in Frage.15. Mai: Auf dem Höhepunkt des Wahlkampfes zur Europawahl werben Weber, Timmermans, Vestager, Ska Keller (Grüne), Nico Cué (Linke) und Jan Zahradil (EKR) in einem europaweit übertragenen TV-Duell für ihre Positionen.23.-26. Mai: Europawahl in den 28 EU-Staaten. EVP und Sozialdemokraten verlieren, bleiben aber mit 182 und 154 Sitzen die beiden größten Fraktionen vor den Liberalen (108), die stark zulegen. Es folgen die Grünen (74), die Nationalisten (73), die rechtskonservative EKR (62) und die Linken (41).28. Mai: Im Europaparlament können sich Vertreter der großen Fraktionen nicht auf einen gemeinsamen Kandidaten für die EU-Kommission einigen. EVP, Sozialdemokraten und Liberale bekräftigen ihren Führungsanspruch. Auf einem EU-Sondergipfel in Brüssel erhält EU-Ratspräsident Donald Tusk das Mandat, bis zum nächsten regulären Gipfel Kompromisse mit dem Parlament auszuloten. Macron macht Stimmung gegen Weber.20.-21. Juni: Auf dem EU-Gipfel in Brüssel räumt Tusk ein, dass es für keinen der Spitzenkandidaten eine Mehrheit unter den Staats- und Regierungschefs gebe. Die Blockade im Europaparlament hält derweil an: Sozialdemokraten und Liberale erklären gegenüber der EVP, dass sie Manfred Weber nicht unterstützen. Die EVP macht im Gegenzug klar, dass Timmermans und Vestager für sie nicht wählbar seien – Vestager auch, weil sie nach Meinung der EVP keine richtige Spitzenkandidatin gewesen ist.26. Juni: In Berlin kommt Bundeskanzlerin Angela Merkel mit Weber, dem EVP-Vorsitzenden Joseph Daul und den Parteichefs von CDU und CSU, Annegret Kramp-Karrenbauer und Markus Söder, zusammen. Da Weber als Kommissionschef nicht durchsetzbar scheint, wird eine Lösung mit Timmermans als Juncker-Nachfolger und Weber als EU-Parlamentspräsident besprochen.28.-29. Juni: Am Rande des G20-Gipfels im japanischen Osaka bespricht Merkel den Timmermans-Plan mit Macron, dem Niederländer Mark Rutte und dem Spanier Pedro Sánchez.30. Juni-1. Juli: EU-Sondergipfel in Brüssel: Vor Beginn testet Tusk in stundenlangen Einzelgesprächen verschiedene Personaltableaus. Gegen einen Kommissionspräsidenten Timmermans gibt es Widerstand aus den vier Visegrad-Staaten und Italien. Aber auch in der EVP macht sich massive Unzufriedenheit breit. Der am Sonntagabend begonnene EU-Gipfel wird schließlich am Montagmittag auf den Dienstag vertagt. Tusk setzt keine Abstimmung an, auch wenn die erforderliche Mehrheit von 21 Staaten, die 65 % der EU-Bevölkerung repräsentieren, trotzdem möglich scheint.Auch Merkel ist dagegen, eine Timmermans-Lösung gegen den Willen von großen Ländern wie Polen und Italien durchzusetzen. Ursula von der Leyen ist zeitweise als neue Außenbeauftragte im Gespräch. Kurz vor Ende der Beratungen verweist Macron angeblich darauf, dass die Bundesverteidigungsministerin eigentlich auch eine gute EU-Kommissionspräsidentin wäre.2. Juli: Fortsetzung des Sondergipfels: Zu Beginn bleibt auch Timmermans noch einmal eine Option – doch der Widerstand aus Osteuropa und von Italien ist unverändert stark. Eine Lösung mit der CDU-Politikerin von der Leyen an der Spitze der EU-Kommission erhält dagegen relativ schnell von allen grünes Licht.So wird das Personaltableau ergänzt durch die französische IWF-Chefin Christine Lagarde als neue Draghi-Nachfolgerin an der Spitze der Europäischen Zentralbank (EZB), den belgischen Ministerpräsidenten Charles Michel von den Liberalen als neuen EU-Ratspräsidenten und den spanischen Außenminister Josep Borrell als künftigen Außenbeauftragten. Die Staats- und Regierungschefs schlagen vor, Timmermans und Vestager zu Vizepräsidenten der nächsten EU-Kommission und einen Sozialdemokraten zum neuen Parlamentspräsidenten zu machen. Der Spitzenkandidat der größten Parlamentsfraktion, Manfred Weber, geht bei der Postenvergabe damit ebenso leer aus wie die osteuropäischen Staaten. Die Zustimmung zu dieser Personallösung erfolgt im Europäischen Rat einstimmig – lediglich Merkel muss sich in der Causa von der Leyen enthalten, weil der Koalitionspartner SPD diese Personalie nicht mittragen will.3. Juli: Von der Leyen reist zu ersten Gesprächen zum EU-Parlament nach Straßburg.10.-11. Juli: Von der Leyen stellt sich in Brüssel Befragungen in den einzelnen Fraktionen des EU-Parlaments.16. Juli: Ursula von der Leyen wird in Straßburg vom Europaparlament mit 383 Ja-Stimmen zur neuen EU-Kommissionspräsidentin und Nachfolgerin von Jean-Claude Juncker gewählt. Zusammengestellt von Andreas Heitker.