Staatskrise in Großbritannien

Bercow will erneute Abstimmung über Mays unveränderten Brexit-Deal nicht zulassen

Staatskrise in Großbritannien

John Bercow, der als Speaker des britischen Unterhauses entscheidet, worüber dort abgestimmt wird, will nicht zulassen, dass Premierministerin Theresa May ihren Deal erneut in unveränderter Form einbringt. Elf Tage vor dem Brexit befindet sich Großbritannien damit in einer Staatskrise unerwarteten Ausmaßes. Von Andreas Hippin, LondonDer britischen Premierministerin Theresa May wird die Peinlichkeit erspart bleiben, erneut mit dem in ihrem Namen von der Verwaltung ausgehandelten EU-Austrittsvertrag Schiffbruch im Unterhaus zu erleiden. Speaker John Bercow ließ die Regierung in Form einer persönlichen Erklärung wissen, dass er nicht noch eine Abstimmung über ihren unveränderten Deal zulassen werde. Er berief sich dabei auf das vom britischen Verfassungsrechtler Thomas Erskine May (1815 – 1886) zusammengestellte Werk zu den parlamentarischen Konventionen und Prozeduren.Eigentlich war damit gerechnet worden, dass es heute zum dritten “aussagekräftigen Votum” kommen würde. Im Jargon des politischen London war mit Blick auf die erwartbare Niederlage bereits davon die Rede, dass dem “MV3” (Meaningful Vote) auch noch ein “MV4” folgen könnte. Elf Tage vor dem Austrittstermin hat der überzeugte Brexit-Gegner Bercow der Regierung stattdessen einen Knüppel zwischen die Beine geworfen, der nicht nur May zum Stolpern bringen könnte.Wenn die Regierung einen neuen Antrag vorlegen wolle, der “nicht der gleiche oder im Wesentlichen der gleiche” wie der in der vergangenen Woche abgelehnte Deal sei, wäre das kein Problem, sagte Bercow. Aber er halte es nicht für legitim, den im Wesentlichen unveränderten Antrag erneut zur Abstimmung zu stellen. May wäre damit gezwungen zu erläutern, in welcher Weise sich ihr Deal verändert hat – eine echte Herausforderung, wenn man bedenkt, dass sich am Text des Austrittsvertrags nichts geändert hat. Das gilt auch dann noch, wenn sie den Deal erst in der kommenden Woche vorlegt – eine Einigung mit den nordirischen Unionisten von der DUP, ohne deren Mandate May im Unterhaus über keine Mehrheit verfügt, könnte nach Einschätzung mancher Kommentatoren so viel Zeit in Anspruch nehmen.Andrea Leadsom, die als Leader of the House of Commons für die Geschäfte der Regierung im Unterhaus zuständig ist, warf Bercow vor, er zeige den Abgeordneten gegenüber weder Würde noch Respekt. Robert Buckland, der stellvertretende Kronanwalt, brachte das Thema “Prorogation” ins Spiel, das bereits von Brexiteers wie Jacob Rees-Mogg aufgeworfen worden war. Dabei handelt es sich um eine vorzeitige Beendung der Sitzungsperiode durch ein Machtwort der Queen. Dadurch ließe sich verhindern, dass das Parlament die Kontrolle über den Austrittsprozess übernimmt.May hatte gestern noch angedroht, sich beim EU-Gipfel Ende der Woche für eine lange Verlängerung der Austrittsfrist einzusetzen, sollte das Parlament ihrem Deal heute nicht zustimmen. Dem “Evening Standard” zufolge wollte sie sich dann auch von ihrem Brexit-Sherpa Oliver Robbins trennen. Nun bleibt vielen Brexiteers die Blamage erspart, am Ende doch für die Vorlage der Regierung zu stimmen, weil ihnen die vermeintlichen Alternativen noch schlimmer vorkommen. Rees-Mogg, der Chairman der European Research Group, hatte bereits signalisiert, dass er dem Deal zustimmen könnte. “Kein Deal ist besser als ein schlechter Deal”, sagte er dem Radiosender LBC. “Aber ein schlechter Deal ist besser, als in der Europäischen Union zu bleiben.” Boris Johnson hatte dagegen angekündigt, gegen die Regierung zu stimmen.