GOETHE UND DAS GELD - NEUE SERIE ZUR GELDSCHÖPFUNG

Staatsschuld treibt Wachstum der Geldmenge

Bankkredite an öffentliche Haushalte wachsen stärker als solche an Privathaushalte - Theoretisch unbegrenzte Geldschöpfung möglich

Staatsschuld treibt Wachstum der Geldmenge

Von Stephan Balling, FrankfurtDie Geldmenge in Euroland wächst. M 3 – das wichtigste Aggregat zur Messung der Geldmenge – lag im Juni um bereinigte 3,2 % über dem Wert des Vorjahres. Um zu erklären, was diese Größen treibt, ist ein Blick auf die Gegenposten der Geldmenge nützlich. Denn jedem Gläubiger – also etwa dem Halter von Schuldverschreibungen – steht stets ein Schuldner gegenüber, der Emittent dieser Papiere. Dabei zeigt sich: Vor allem die weiter wachsenden Schulden der Staaten sorgen dafür, dass die Geldmenge steigt. Im Juni betrug die Zuwachsrate der Bankkredite an öffentliche Haushalte laut Europäischer Zentralbank (EZB) 9,4 %. Zum Vergleich: Die Kreditbestände an den privaten Sektor lagen 0,4 % unter dem Niveau des Vorjahresmonats.Dank der weiter wachsenden Staatsschulden wächst die Geldmenge. Da Staatsanleihen von der EZB als Sicherheiten bevorzugt werden, wenn sie Banken Kredite gibt, laden die Regierungen ihre Finanzprobleme zunehmend bei den Notenbanken ab. Das funktioniert derzeit prima, da das Eurosystem der Zentralbanken (ESZB) den Banken unbegrenzt Kredite gewährt, zum Tiefstzins von 0,75 %. Und wo – wie im Fall Griechenlands – selbst das ESZB als Ganzes skeptisch wird, springt die nationale Notenbank ein und vergibt mittels der Nothilfen ELA Kredite an die Banken. Mit dem Zentralbankgeld können dann wieder munter Regierungspapiere gekauft werden. Der in Madrid lehrende Ökonom Philipp Bagus sprach während der Hayek-Tage in Bayreuth vor wenigen Wochen von einer “indirekten Monetisierung”.Wie aber treibt die wachsende Staatsverschuldung die Geldmenge? Bagus zufolge kaufen Banken einen Großteil der emittierten Staatsanleihen und nutzen diese, um sie als Sicherheiten bei der EZB zu hinterlegen. Die EZB gewährt ihnen dafür Kredit, wobei sie das Geld für diese Kredite selbst schöpft, salopp gesagt: Sie druckt es. Technisch gesprochen bringt sie auf diesem Weg Zentralbankgeld in Umlauf. Die Geldbasis steigt.Im ersten Schritt, bei dem die Geschäftsbank eine bereits vorhandene Staatsanleihe als Sicherheit bei der EZB einreicht und einen Zentralbankkredit erhält, verbucht die EZB in ihrer Zentralbankbilanz auf ihrer Aktivseite eine “Forderung aus geldpolitischen Operationen an Kreditinstitute”. Der Gegenposten auf der Passivseite wird als Verbindlichkeit gegen die Geschäftsbank verbucht, also auf deren Zentralbankkonto. Die Geschäftsbank wiederum verbucht auf der Passivseite ihrer Bilanz eine Verbindlichkeit gegen die EZB. Auf ihrer Aktivseite verbucht sie eine Forderung (Guthaben auf ihrem Zentralbankkonto) gegen die Notenbank. Mit diesem Guthaben kann sie dann neue Anleihen kaufen. EZB als BremseDurch den Kauf der neuen Staatsanleihe schreibt die Geschäftsbank dem Staat den entsprechenden Betrag auf seinem Konto gut (angenommen der Staat führt ein Konto bei der Bank) und bekommt dafür die Staatsanleihe. In ihrer Bilanz taucht dann also der neue Bond auf der Aktivseite auf und auf der Passivseite erscheint eine Verbindlichkeit gegen den Staat. Damit ist die Bilanzsumme doppelt so stark gewachsen wie der Betrag, den sich die Bank ursprünglich bei der EZB geliehen hat. Die neue Staatsanleihe kann sie wieder zur EZB bringen, der Prozess beginnt von Neuem.Theoretisch kann die Geldschöpfung damit unbegrenzt weitergehen. In der Praxis gibt es aber Grenzen: Erstens nimmt die EZB einen Abschlag auf hinterlegte Sicherheiten vor, gibt also weniger Kredit aus als der Nennwert der Anleihen beträgt. Zweitens gibt es Mindestreserve- und Eigenkapitalvorschriften, die ebenfalls hemmend wirken können.Gäbe es diese Bremsen nicht, wäre die Geldschöpfung – also das Wachstum der Geldmenge – unbegrenzt. Dann gäbe es eine Wicksell’sche Idealbank: Losgelöst von der EZB können Geschäftsbanken theoretisch unbegrenzt Kredite vergeben, indem sie schlicht immer neue Forderungen gegen ihre Kunden auf der Aktivseite und entsprechende Forderungen auf ihrer Passivseite verbuchen. Solange die Kunden das Buchgeld nicht abheben und Bargeld verlangen, sondern sämtliche Transaktionen über Kreditkarten oder Überweisungen vornähmen, könnte auf diesem Weg die Geldmenge unbegrenzt wachsen.Doch in dem Moment, wo die Gefahr besteht, dass Kunden ihre Einlagen in physische Münzen und Scheine tauschen wollen, ist der unbegrenzte Geldschöpfungsmoment unterbrochen. Denn die Bank muss jederzeit liquide sein, also die Möglichkeit haben, von der EZB Münzen und Scheine zu besorgen. Dazu muss sie entweder Sicherheiten vorhalten, die sie im Gegenzug für Bargeld bei der EZB hinterlegen kann, oder über ein Polster auf ihrem Zentralbankkonto verfügen. Genau das ist die Krux bei der Geldschöpfung über den Kauf von Staatsanleihen: Weil bei der Refinanzierung Guthaben bei der Zentralbank entstehen, sind die Banken stets liquide. Wenn sie Cash benötigen, weil ihre Kunden ihre Konten räumen, können sie einfach ihr eigenes Guthabenkonto bei der Zentralbank räumen. Dort fände dann ein Passivtausch statt: Der Posten “Verbindlichkeiten an Kreditinstitute” sänke, dafür stiege der Posten “Banknotenumlauf”. Eine Frage der SicherheitenDoch das gilt nur für den Kredite an den Staatssektor. Die insgesamt umlaufende Geldmenge ist viel größer als die Einlagen der Banken bei der Zentralbank. Im Falle von Bank-runs, bei denen die Kunden überstürzt ihre Bankguthaben räumen, könnte das Finanzsystem zusammenbrechen, weil die Banken zu wenig Zentralbankeinlagen und Sicherheiten haben. Das zeigt sich derzeit in Griechenland, weshalb die EZB immer schlechtere Sicherheiten akzeptiert.Freilich tragen hier die Banken selbst die Hauptschuld: Sie müssen bei der Vergabe von Krediten sorgfältiger sein und in sicherheitentaugliche Assets investieren. Dies beeinflusst maßgeblich den sogenannten Geldmultiplikator. Er gibt an, wie stark sich die Geldmenge erhöht, wenn die Zentralbank den Banken neue Kredite bereitstellt.Dabei hat es zuletzt infolge der Krise gravierende Änderungen gegeben. Darauf weist Makram El-Shagi, Ökonom am Institut für Wirtschaftsforschung (IWH) in Halle, im aktuellen “Wirtschaftsdienst” hin. Kaum ein anderer Indikator kondensiere diese Veränderungen so sehr wie der Geldmultiplikator bzw. Geldschöpfungsmultiplikator, also die Relation zwischen der Geldbasis (die die Zentralbank den Geschäftsbanken zu Verfügung stellt, die Zentralbankkredite) und der daraus durch den Bankensektor geschöpften, für die Privatwirtschaft verfügbaren Geldmenge. In den vergangenen Jahren sind die Multiplikatoren weltweit drastisch gesunken.Die Zentralbanken pumpen also immer mehr Geld in das Bankensystem, von wo aus es in den Wirtschaftskreislauf fließen soll. Doch der Kanal ist verstopft. “Dass die Banken die Liquidität in diesem Maße nachfragen und nicht in Form von Krediten weitergeben, ist wohl teilweise ein Beleg dafür, dass die Liquiditätsversorgung durch EZB und Fed (Federal Reserve) notwendig war, um Schlimmeres im Bankensektor zu verhindern”, schreibt El-Shagi. Dies bedeute aber auch, dass bei einer Besserung im Bankensektor erhebliches Potenzial zur Geldschöpfung bestehe. “Wenn die überschüssige Geldbasis dann nicht abgeschöpft werden kann, würde eine Inflation drohen”, warnt El-Shagi. Die EZB sieht diese Gefahr derzeit indes nicht. Notenbankpräsident Mario Draghi betrachtet nach eigener Aussage ein Geldmengenwachstum von 6 % als gesund.——Geldmenge- Nach der Definition des Eurosystems umfasst die eng gefasste Geldmenge M1 den Bargeldumlauf sowie täglich fällige Einlagen von Ansässigen des Euroraums (außer Zentralregierungen) bei Banken.- Die Geldmenge M2 umfasst M1 sowie Einlagen mit vereinbarter Laufzeit von bis zu zwei Jahren und Einlagen mit vereinbarter Kündigungsfrist von bis zu drei Monaten.- Die weit gefasste Geldmenge M3 umfasst M2 sowie Repogeschäfte, Geldmarktfondsanteile und Geldmarktpapiere sowie Schuldverschreibungen mit einer Ursprungslaufzeit von bis zu zwei Jahren. BZ——