Deutschland

Starkes Lohnplus übertrifft im Frühjahr die Inflation

Die Deutschen haben in den Jahren 2021 und 2022 durch die unerwartet rasant gestiegene Inflation starke Kaufkraftverluste hingenommen. Jetzt gibt es eine Gegenbewegung. Aber wie stark fällt die aus? Und was bedeutet das für die EZB und das Wachstum?

Starkes Lohnplus übertrifft im Frühjahr die Inflation

Starkes Lohnplus übertrifft im Frühjahr die Inflation

Nominallöhne legen um 6,6 Prozent zu – Erster realer Zuwachs seit zwei Jahren – Debatte über Lohn-Preis-Spirale und Konsum

ms Frankfurt

Die Nominallöhne in Deutschland sind im zweiten Quartal mit einem Plus von 6,6% zum Vorquartal so stark gestiegen wie mindestens seit Beginn der entsprechenden Zeitreihe im Jahr 2008 nicht. Da zugleich die Inflation im Frühjahr, wenn auch auf hohem Niveau, auf 6,5% zurückging, stand unter dem Strich erstmals seit zwei Jahren wenigstens ein kleines Reallohnplus von 0,1%. Über diese Entwicklungen informierte das Statistische Bundesamt am Dienstag.

Die Zahlen sind in doppelter Hinsicht interessant. Einerseits könnten sie die Debatte befeuern, dass über ein starkes Lohnwachstum eine Verfestigung der aktuell zu hohen Inflation droht – also eine Lohn-Preis-Spirale. Nicht zuletzt deshalb plädieren die Hardliner („Falken“) im EZB-Rat für weitere Zinserhöhungen. Andererseits machen die Daten zumindest ein wenig Hoffnung für den privaten Konsum und damit für die Wirtschaft. Im Frühjahr hatte der Konsum enttäuscht und keinen Beitrag zum Wachstum geleistet. Als Grund galten die Kaufkraftverluste durch die hohe Inflation.

Laut Destatis war das jetzt gemeldete Nominallohnplus das stärkste, seitdem die Daten so erhoben werden, also seit 2008. Auf Nachfrage teilte Destatis aber mit, dass die Nominallohnentwicklung zuletzt in den Jahren 1991 mit 7,2% und 1992 mit 10,3% und damit vor 30 Jahren höher gelegen habe als im zweiten Quartal 2023. Laut den Statistikern verzeichneten jetzt vor allem geringfügig Beschäftigte und Geringverdienende einen überdurchschnittlichen Nominallohngewinn. Bei geringfügig Beschäftigten gab es ein Plus von 9,7%. Dies sei vor allem auf die seit dem 1. Oktober 2022 gültige Erhöhung der Minijob-Verdienstgrenze von monatlich 450 Euro auf 520 Euro sowie auf die Mindestlohnerhöhung auf 12 Euro zurückzuführen. Die Nominallöhne von Beschäftigten in Vollzeit stiegen zwar leicht unterdurchschnittlich um 6,3%, aber immer noch deutlich.

Nachdem die Deutschen in den Jahren 2021 und 2022 durch die unerwartet rasant gestiegene Inflation starke Kaufkraftverluste hingenommen haben, gilt auch in der EZB eine gewisse Gegenbewegung und ein Aufholprozess als angemessen. Die Euro-Hüter befürchten aber, dass zu starke Lohnsteigerungen dazu führen könnten, dass sich Preis und Löhne gegenseitig hochschaukeln. Die EZB sieht es deshalb aktuell als entscheidend an, dass die Unternehmen, die zuletzt eine teils deutliche Ausweitung ihrer Gewinnmargen verzeichnet haben, höhere Kosten infolge steigender Löhne auffangen.

Zugleich schürte der erste Reallohnanstieg seit zwei Jahren wenigstens ein wenig Konjunkturzuversicht. „Die Daten zur Lohnentwicklung bestätigen die Einschätzung, dass der private Konsum eine moderate konjunkturelle Erholung tragen dürfte“, sagte die Chefvolkswirtin der KfW, Fritzi Köhler-Geib. „Die Konjunkturaussichten für die deutsche Wirtschaft sind besser als die aktuelle Stimmung.“ Zuletzt hatten Konjunkturdaten Befürchtungen einer anhaltenden Wirtschaftskrise in Deutschland verstärkt – ohne große Aussicht auf Besserung.

Köhler-Geib erwartet, dass im Durchschnitt des Jahres 2023 die Tariflöhne voraussichtlich um mehr als 5% steigen werden. Für das nächste Jahr zeichne sich zwar ein geringerer Anstieg ab. Allerdings werde die Inflationsrate im Jahr 2024 mit rund 2,5% wohl wesentlich niedriger ausfallen als im laufenden Jahr, für das Köhler-Geib eine durchschnittliche Teuerung von 6,3% erwartet. Deshalb „werden die Reallöhne im nächsten Jahr wieder spürbar steigen“, sagte sie. „Das gibt auch für die Konjunktur Anlass zu vorsichtigem Optimismus. 2024 dürfte das deutsche BIP deshalb nach einem Rückgang um 0,4% in diesem Jahr wieder wachsen, wenn auch mit 0,8% nur mäßig.“

Das ebenfalls am Dienstag veröffentlichte GfK-Konsumklima für September dämpfte aber zugleich die Zuversicht für den Konsum. Das deutete eher darauf hin, dass der private Konsum ungeachtet der leichten Kaufkraftzuwächse vorerst als Konjunkturmotor ausfallen dürfte (siehe Text oben auf dieser Seite).

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