Steht Jürgen Klopp bald im Abseits des Brexit?
Jürgen Klopp dürfte derzeit wohl der beliebteste Deutsche in England sein. Seit Boris Becker hat kein anderer Deutscher eine vergleichbare Euphorie ausgelöst. Der Sympathieträger hat einerseits große sportliche Erfolge: Sein FC Liverpool steht am 25. Mai zum zweiten Mal hintereinander im Finale der europäischen Champions League. Andererseits ist es aber vor allem die Art und Weise, mit der er seine Ziele verfolgt und es schafft, seine Spieler zu großen Leistungen zu motivieren. Mentalität ist derzeit die am höchsten gehandelte Eigenschaft im Profisport.Jürgen Klopp und die Premier League: Das scheint im Moment eine ideale Verbindung zwischen zwei Erfolgsmodellen zu sein. Die Premier League hat sich in den letzten Jahren zum absoluten Maß aller Dinge entwickelt, sowohl sportlich und vor allem auch wirtschaftlich. Das Finale der Champions League wird diesmal zwischen zwei englischen Mannschaften, dem FC Liverpool und den Tottenham Hotspurs, ausgetragen. Und auch das kleine Finale der Europa League ist sogar ein Londoner Stadt-Derby zwischen dem FC Arsenal und dem FC Chelsea.Wie groß die sportliche Dominanz der englischen Mannschaften ist, mussten auch der FC Schalke, Borussia Dortmund und der FC Bayern leidvoll erfahren, die in ihren Duellen mit einem Torverhältnis von 3:17 chancenlos untergingen. Einziger kleiner Trost für die Deutschen: Auch der FC Barcelona wurde von Klopps FC Liverpool regelrecht überrollt.Der sportliche Erfolg hat vor allem wirtschaftliche Gründe, denn entgegen einer alten Fußballerweisheit schießt Geld eben doch Tore. Vielleicht nicht in jedem einzelnen Fall, aber eben doch in der großen Zahl. Sky und BT Sport zahlten für die Premier League für drei Jahre im Zeitraum von 2016 bis 2019 rund 6,9 Mrd. Euro. Zukünftig wird auch Amazon Spiele übertragen und weitere Einnahmen eröffnen. Gegenüber der Bundesliga hat die Premier League in etwa dreifach größere Einnahmen, was sich ziemlich genau auch in den möglichen Ausgaben und damit in der Qualität der Mannschaften zeigt: Im Sommer 2018 investierten die Bundesligisten ca. 500 Mill. Euro in neue Spieler, während die Engländer ungefähr 1,5 Mrd. Euro ausschütteten. Diese Investitionen zahlen sich nun aus. Premier League ist spannend Das internationale Vermarktungspotenzial der Premier League liegt ebenfalls um ein Vielfaches über dem der Bundesliga. Die Premier League ist vor allem spannend: In den vergangenen sieben Jahren gab es vier verschiedene Meister, und in den ver-gangenen elf Jahren konnte nur einmal eine Mannschaft ihren Titel verteidigen. Die Bundesliga kann von so viel Ausgeglichenheit und Spannung nur träumen. Es gilt eine zentrale Erkenntnis der Sportökonomik: Das einzig Reizvolle am Sport ist die Ungewissheit des Ausgangs.Der Erfolg der Premier League könnte jedoch durch den anstehenden Brexit massiv beeinträchtigt werden, denn der englische Fußball ist vor allem auch ein Teil der Europäischen Union und ihrer Rechtsprechung. 1995 sprach der Europäische Gerichtshof (EuGH) im Fall von Jean-Marc Bosman ein für den Profisport bahnbrechendes Urteil, das bis heute das meistzitierte Urteil des EuGH überhaupt ist. Bosman war ein relativ unbekannter belgischer Profi, der nach Ablauf seines Vertrages den Verein wechseln wollte, jedoch durch eine hohe Ablöseforderung seines alten Vereins daran gehindert wurde. Bosman klagte gegen eine aus seiner Sicht unzulässige Beschränkung seiner Arbeitnehmerfreizügigkeit, und tatsächlich landete sein Fall vor dem EuGH in Luxemburg.Das Bosman-Urteil hatte weitreichende Folgen, denn erstens wurde entschieden, dass jeder EU-Sportler in jedem beliebigen EU-Land seinen Beruf ausüben darf. Zweitens entschied der Europäische Gerichtshof, dass Profis nach Beendigung ihres Vertrages ablösefrei wechseln dürfen. Seit dem Bosman-Urteil ist es also möglich, dass in einer europäischen Mannschaft beliebig viele Europäer spielen können: Inter Mailand gewann das Champions-League-Finale 2009 gegen den FC Bayern, ohne dass ein einziger Italiener auf dem Platz stand.Gerade die Premier League profitiert am meisten von dieser Freizügigkeit, denn sie ist für Spieler aus den kleineren Fußballnationen – etwa Holland oder Dänemark – das Ziel ihrer Träume. Der Brexit könnte diese Träume jedoch jäh platzen lassen, denn die EU-Arbeitnehmerfreizügigkeit endet genau am Tag des Austritts. Schon jetzt arbeiten in den englischen Top-Klubs die Rechtsanwälte auf Hochtouren, um Übergangslösungen oder Schlupflöcher zu finden.Eine weitere Problematik für die englische Liga ist der zunehmende Verfall der britischen Währung. Seit der Ankündigung des Brexit hat das Pfund schon ca. 20 % seines Wertes gegenüber dem Euro verloren. Obwohl Wechselkursprognosen immer sehr spekulativ sind, kann angesichts der politischen Unsicherheit auf allen Ebenen sowie der wirtschaftspolitischen Pläne der Labour Party und der neuen Brexit-Partei kaum von einer Stärkung des Pfundes ausgegangen werden. Ein harter und ungeregelter Brexit würde sogar mit großer Sicherheit zu einer Schwächung des britischen Pfundes führen. Damit jedoch dürfte es für die englischen Teams mit Sicherheit sehr viel schwieriger und teurer werden, die Topstars und Talente aus Europa zu kaufen und deren Ablösesumme in Euro zu zahlen. Damit entstehen finanzielle Probleme, die auch Rechtsanwälte nicht lösen können.Jürgen Klopp hat neulich in einem Interview mit der BBC sehr diplomatisch gesagt, man solle den gesamten Brexit noch einmal gründlich überdenken. Er hat dies vermutlich auch deshalb gesagt, damit er und seine Liverpooler Reds zukünftig nicht im Abseits des Brexit stehen und auf europäische Spieler und Trainer verzichten müssen. Prof. Dr. Dirk Wentzel ist Professor für Volkswirtschaftslehre und Europäische Wirtschaftsbeziehungen an der Hochschule Pforzheim.In dieser Rubrik veröffentlichen wir Kommentare von führenden Vertretern aus der Wirtschafts- und Finanzwelt, aus Politik und Wissenschaft.——Es gilt eine zentrale Erkenntnis der Sportökonomik: Das einzig Reizvolle am Sport ist die Ungewissheit des Ausgangs.