IM BLICKFELD

Steuerpolitik setzt internationalen Konzernen zu

Von Angela Wefers, Berlin Börsen-Zeitung, 26.10.2016 Hinter einem sperrigen, nichtssagenden Begriff verbirgt sich eine kleine und unangenehme Revolution in der Steuergesetzgebung für Unternehmen. Multinationalen Konzernen droht mit den Neuerungen,...

Steuerpolitik setzt internationalen Konzernen zu

Von Angela Wefers, BerlinHinter einem sperrigen, nichtssagenden Begriff verbirgt sich eine kleine und unangenehme Revolution in der Steuergesetzgebung für Unternehmen. Multinationalen Konzernen droht mit den Neuerungen, die der Finanzausschuss des Bundestags derzeit berät, ein deutlicher Einschnitt in ihre Steuerpraxis. Im Regierungsdeutsch heißt dies unspektakulär “Gesetz zur Umsetzung der EU-Amtshilferichtlinie und von weiteren Maßnahmen gegen Gewinnkürzungen und -verlagerungen”. Anfang Dezember will der Bundestag den Entwurf abschließend lesen. Sorge um SteuerbasisDie steuergesetzliche Reform geht auf das internationale BEPS-Projekt (Base Erosion and Profit Shifting) zurück. Die führenden Industrie- und Schwellenländer (G 20) hatten 2015 vereinbart, mit einem neuen Regelwerk dafür zu sorgen, dass grenzüberschreitend tätige Konzerne nicht mehr durch Gewinnverlagerung in Niedrigsteuerländer der fiskalischen Belastung entgehen oder sie zumindest gewaltig drücken können. Dahinter steht die Sorge, dass die Steuerbasis erodiert. Der Fiskus fühlt sich um sein Steuersubstrat betrogen.Mehr als 60 Staaten sind mittlerweile an dem Projekt beteiligt. Milliardenbeträge sollen ihnen durch die Steuergestaltung großer Konzerne entgehen. Zahlen liegen dazu nicht vor. Eine Tatsache ist aber, dass die Steuerbelastung von Unternehmen über alle Größenklassen hierzulande in den vergangenen Jahren gestiegen ist und weiter steigt (siehe Grafik). Das bis dahin höchste Niveau von rund 63 Mrd. Euro Einnahmen aus Körperschaft- und Gewerbesteuer im Jahr 2007 – bevor die Steuerreform 2008 die Unternehmen entlastete und die Finanzkrise die Gewinne drückte – ist bereits wieder überschritten. Zugegeben, es wird nicht nach großen und kleinen Unternehmen differenziert, aber dafür gibt es keine offizielle Statistik.Das BEPS-Projekt folgt dem Grundsatz, dass Unternehmen dort besteuert werden, wo ihre Wertschöpfung entsteht. Grundsätzlich sollen Gewinne nur einmal besteuert werden. Doppelbesteuerungsabkommen sollen dafür sorgen, mehrfache Belastungen auszuschließen. Einkünfte, die bereits in einem Land besteuert worden sind, werden von der Besteuerung freigestellt oder es wird durch Anrechnung ein Ausgleich geschaffen. Steuerlücken, die durch unterschiedliches nationales Steuerrecht dazu führen, dass Einkünfte überhaupt nicht besteuert werden, will das BEPS-Projekt schließen. Transparenz für den FiskusIn der EU sorgen Brüsseler Richtlinien für eine europaweit einheitliche Umsetzung. Mit dem aktuellen Gesetzesvorhaben werden die Teile des Projekts national verankert, die den Finanzbehörden über Grenzen hinweg mehr Einblick in Konzerne verschaffen soll. Dies betrifft den automatischen Austausch der Steuerverwaltungen über verbindliche Steuervorabbescheide, sogenannte Tax Rulings, sowie zur Verständigung über Verrechnungspreise – also die Preise, die ein Konzern intern zwischen Untergesellschaften und Betriebsstätten verrechnet. Bereits Ende September hatte der Bundestag beschlossen, dass multinationale Konzerne im Zuge des sogenannten Country-by-Country Reporting länderbezogene Steuerberichte erstellen müssen, die die Behörden austauschen. Die Berichte dürfen nur für steuerliche Zwecke verwendet werden. Sie geben den Behörden einen Überblick über die geografische Verteilung der Erträge und der gezahlten Steuern der Konzerne.In den Unternehmen sorgen die neuen Regelungen für große Unruhe. Dies wurde in der öffentlichen Anhörung im Finanzausschuss des Bundestags in der vergangenen Woche deutlich. Aus der Wirtschaft hagelte es scharfe Kritik. Investitionsanreize für deutsche Unternehmen im Ausland werden mit der Reform unattraktiv, weil etwa eine steuerliche Zulage im Ausland hierzulande nachversteuert werden muss. Die politische Lenkung über Steuervergünstigungen – etwa von Klimaschutzinvestitionen – wird damit durch deutsches Steuerrecht ausgehebelt. Zudem soll die Nachbelastung auch auf die Gewerbesteuer ausgedehnt werden, obwohl kein Zusammenhang zu kommunalen Leistungen besteht. Die Wirtschaftsprüfer warnten in der Anhörung, dass einige der neuen Vorschriften die Gefahr bergen, dass andere Staaten Doppelbesteuerungsabkommen kündigen könnten. Zahlreiche Wirtschaftsverbände wunderten sich zudem über den unrealistisch niedrigen finanziellen Aufwand, den der Gesetzgeber durch die neuen Meldepflichten erwartet.Während die Vertreter aus den Finanzbehörden und von der Steuergewerkschaft in dem Informationsaustausch ein geeignetes Mittel gegen Steuerflucht und ruinösen Steuerwettbewerb sehen, berichtete der Steuerabteilungsleiter von Boehringer Ingelheim, Werner Thumbs, aus der Praxis, dass die Gruppe sich regelmäßig mit Doppelbesteuerungen konfrontiert sieht. Das BEPS-Projekt mag für Steueroasen seine Berechtigung haben. Es führt aber im Unternehmenssektor, der ohnehin unter einem fast undurchschaubaren Steuerdickicht leidet, zu einer reinen Abwehrgesetzgebung. Mehr Transparenz ist das Gebot der Stunde, aber nicht für neue Meldepflichten, sondern für ein Steuersystem, das diesen Namen verdient. Mittlerweile nimmt der Gesetzgeber den Missbrauch als Maßstab. Es sollte aber der steuerliche Normalfall sein.