IM INTERVIEW: UWE BURKERT

"Steuerzahler tragen das Risiko"

LBBW-Chefvolkswirt zum Wahlsieg von Syriza, der Kritik am deutschen Modell und zur Zuwanderung

"Steuerzahler tragen das Risiko"

LBBW-Chefvolkswirt Uwe Burkert rechnet im Fall Griechenland “mit einer Art Schuldenschnitt, der jedoch anders genannt wird”. Im Interview der Börsen-Zeitung verteidigt er das deutsche Modell gegen Vorwürfe aus anderen Ländern.- Herr Burkert, die Europäische Zentralbank (EZB) hat nun ein sehr umfassendes Staatsanleihenprogramm angekündigt. Hat Sie das Volumen überrascht?Wir hatten mindestens 750 Mrd. Euro erwartet. Wenn man die bisherigen Programme mit einbezieht, sind es etwas weniger als die allseits genannten 1,14 Bill. Euro. Das hat schon Auswirkungen und entspricht dem, was EZB-Präsident Mario Draghi wollte. Überrascht bin ich eher von der Dauer der Maßnahme. Dies zeigt, dass die Zinsen lange Zeit sehr niedrig bleiben werden.- Viel diskutiert wird über die Frage der Haftung. Ist die Tatsache, dass ein Teil davon die nationalen Notenbanken tragen, von Bedeutung?Nein. Letztlich tragen im schlimmsten Fall immer die Steuerzahler das Risiko.- Welche konjunkturellen Wirkungen erwarten Sie? Gibt es überhaupt welche?Ja, kurzfristig gibt es einen positiven Schub, der durch den Ölpreisrückgang und die zu erwartenden fiskalischen Impulse nach der Griechenlandwahl, die andere Krisenstaaten dann auch wollen, verstärkt wird. Dieser Gesamtcocktail wird wirken. Wir rechnen im Euroraum eher mit einem Wachstum von 1,2 statt bisher 0,8 % für 2015.- Sehen Sie Risiken?Wir müssen mittelfristig aufpassen, dass die Währungsschwankungen nicht zu stark werden. Wenn das Wachstum in Europa und auch Reformen kommen, dann sollten sich die Wechselkurse stabilisieren.- Für Reformen gibt es nun gar keinen Anreiz mehr. Fromme Wünsche von Bundeskanzlerin Angela Merkel werden kaum dazu beitragen.Ja, weder Merkel noch Draghi haben Mandate, sie durchzusetzen. Da müsste schon die EU-Kommission handeln, insbesondere gegenüber Frankreich und Italien.- Fliegt nicht bald alles auseinander? Die Kluft zwischen Musterschülern wie Deutschland und Defizitsündern wird immer tiefer.Ich glaube, dass die Eurozone insgesamt stabiler werden könnte. Bisher gab es den Gegensatz zwischen den Musterschülern und den Profiteuren, die wegen der niedrigen Zinsen über die Stränge schlugen. Jetzt gibt es Musterschüler und Staaten, die reformiert haben, die im Gegensatz zu denen stehen, die nichts oder sehr wenig getan haben. Es wird sich zeigen, dass Reformstaaten von ihren Maßnahmen profitieren. Meine Hoffnung ist, dass sich die Reformunwilligen dann auch aufraffen und Europa gestärkt wird. Es kommt hinzu: Europa muss angesichts der diversen Krisen auch sonst stärker zusammenwachsen und zusammenarbeiten, etwa auf den Gebieten der Außen- und Sicherheitspolitik. Die Einzelstaaten müssen Souveränität aufgeben. Europa ist nötiger denn je.- Erwarten Sie nach dem Wahlsieg der linksextremen Syriza einen Austritt Griechenlands aus der Eurozone?Nein, die Griechen müssten schon selbst austreten. Wenn sie das täten, würde ihre Währung kräftig abwerten, die Inflation massiv steigen, die Verschuldung auch. Neben einer Staatspleite würden auch viele Private ihren Offenbarungseid leisten. Ich rechne mit einer Art Schuldenschnitt, der jedoch anders genannt wird. Griechenland braucht die Fördermöglichkeiten der EU. Träte man aus, müsste man zuvor laut EWU-Vertrag auch die EU verlassen.- Aber dann verlangen andere Krisenstaaten Gleichbehandlung.Ja, auch anderen Ländern täte es gut, wenn Reformen durch staatliche Impulse beschleunigt würden. Dadurch entstünde Wachstum, das positiv wirkte und Reformen erleichtert. Nach der Sparphase muss jetzt gezielt investiert werden. Auch die Agenda 2010 unter Kanzler Gerhard Schröder enthielt ja neben Sparanstrengungen auch Investitionen etwa in Bildung.- Viele Deutsche fühlen sich als Melkkuh innerhalb Europas. Auch die jüngsten Maßnahmen der EZB werden ganz überwiegend negativ beurteilt.Der Grundimpuls der EZB-Entscheidung ist auch für Deutschland positiv. Die Abwertung des Euro und der Rückgang des Ölpreises werden von den meisten Unternehmen positiv gesehen.Generell kommt es darauf an, die niedrigen Zinsen zu nutzen, um tragfähige Wirtschaftsmodelle zu schaffen. Das ist Aufgabe der Länder. Die EU-Kommission muss da aber assistieren.- Es gibt aber auch viele Risiken für die Weltwirtschaft, etwa durch die Ukraine-Krise, Konflikte im Nahen Osten oder die Wachstumsabschwächung in China.Ja, in Russland liegen Expansionspläne auf Eis. Vielfach muss auch entschieden werden, ob man dort überhaupt bleibt. Selbst ohne einen Zusammenbruch der dortigen Wirtschaft gibt es bei Investitionsgütern einen massiven Rückgang, weil die Finanzierung nicht steht. Zum Kauf von westlichen Konsumgütern fehlt den russischen Verbrauchern das Geld. Aber Russland ist gesamtwirtschaftlich und für Deutschland nicht so bedeutend. Und in China sind die Margen zwar unter Druck, aber die Unternehmen expandieren weiter. Der Markt ist einfach zu wichtig.- Für einzelne Branchen ist Russland aber schon von Bedeutung.Ja, 2014 sind die deutschen Exporte nach Russland um 20 % zurückgegangen. 2015 dürfte es ähnlich sein. Betroffen ist insbesondere der Maschinenbau, wo es Einbrüche von bis zu 70 % gegeben hat.- Bleiben die USA die Konjunkturlokomotive?Ja, die Grundtrends sind dort sehr positiv. Die Wirtschaft ist stark binnenorientiert, weshalb die Importe anziehen. Der Export ist nicht so bedeutend. Deshalb wird der starke Dollar derzeit gut verkraftet. Das Wachstum ist stabil, weil die Energiepreise und die Inflation niedrig sind, die Immobilienpreise steigen und auch der Arbeitsmarkt sich positiv entwickelt.- Wann hebt die Fed die Zinsen an?Wir rechnen damit, dass sie im Juni von der ultraexpansiven Politik Abstand nimmt. Angesichts des Aufschwungs ist das auch richtig. Sie wird aber weiter sehr expansiv wirken.- Dann wertet doch der Dollar noch stärker gegenüber dem Euro auf.Auch die EZB hat kein Interesse daran, hier zu übertreiben. Ich glaube, dass sich die Währungssituation beruhigt und die Spekulationen nach Draghis Entscheidung abklingen. Es ist fraglich, ob Hoffnungen von Anlegern, die jetzt erst in den Dollar investieren, dauerhaft aufgehen.- Wohin fließen denn dann die Gelder der Anleger, wenn nicht in den Dollar? Die Schweiz scheidet nun ja aus.Ja. Derzeit gehen viele Gelder nach Norwegen, Schweden, Australien und Dänemark. Das sind aber überschaubare Märkte und Dänemark hat schon mit zwei Zinssenkungen gegengesteuert. Im Übrigen glaube ich nicht, dass etwa auch die zehnjährige Bundrendite in den negativen Bereich sinkt. Aber das ist abhängig davon, was mit dem negativen Einlagenzins passiert. Meines Erachtens sollte die EZB diesen überdenken, um die Wirksamkeit ihres Anleiheankaufprogramms zu verbessern. Denkbar wäre, dass der Einlagenzins wieder auf null angehoben wird, um die Anreize für Banken zu erhöhen, Anleihen an die EZB zu verkaufen.- Wann könnte das geschehen?Der Juni könnte ein entscheidender Monat sein. Vielleicht gibt es eine abgestimmte Aktion. Da gibt es eine Opec-Sitzung, die Fed könnte die Zinsen anheben und die EZB den Einlagenzins. Das wäre auch für die Wechselkurssituation ein geeigneter Zeitpunkt.- In Südeuropa, aber auch im angelsächsischen Raum, wird Deutschland vorgeworfen, zu wenig für den Aufschwung zu tun. Teilen Sie diese Einschätzung?Nein. Es gibt viele Berechnungen, die zeigen, dass die Handelspartner profitieren, wenn das deutsche Modell erfolgreich ist, weil dann die Importe anziehen. Wenn die Deutschen bestimmte Produkte aus dem Ausland nicht kaufen, dann liegt das daran, dass die Qualität nicht stimmt oder die Produkte nicht wettbewerbsfähig sind. Das deutsche Modell muss nicht geändert werden.- Gilt das auch für die deutschen Exportüberschüsse?Ja, aber wenn es zusätzlich einen starken Kapitalexport gibt, gibt es ein Problem. Die Investitionen im Inland müssten wachsen, um hier den Überschuss anlegen zu können. Die Energiewende wäre ein Investitionsprogramm par excellence. Das niedrige Zinsniveau ist dafür extrem nützlich. Die Politik müsste hier stärker und schneller entsprechende Rahmenbedingungen setzen. Das Thema müsste noch beherzter angegangen werden.- Oft ist auch von Investitionen in die Infrastruktur die Rede.Ja, aber das Thema muss breiter gefasst werden. Beim Thema Digitalisierung haben wir Nachholbedarf. Auch beim Thema Bildung. Wenn nicht investiert wird, verfällt der Wert der Aktivseite des Staates, und das ist mindestens genauso negativ wie eine hohe Verschuldung.- Soll dafür die Verschuldung angehoben werden?Nein. Der Haushalt wird durch die niedrigen Zinsen entlastet. Das dabei eingesparte Geld sollte 1 : 1 in die Konsolidierung fließen. Die Investitionen können durch die höheren Steuereinnahmen finanziert werden.- Impulse könnte auch das geplante Freihandelsabkommen TTIP bringen. Wie wichtig ist es für die deutsche Wirtschaft?Die exportstarke deutsche Wirtschaft würde davon erheblich profitieren. Das sichert auch Arbeitsplätze. Das würde einen positiven Schub bringen. Letztlich entscheidet im Übrigen der Verbraucher beim Einkauf, ob er Chlorhühner oder Ähnliches will oder nicht.- Zurück zu den Zinsen. Für die Bürger ist die Zinspolitik der EZB doch ein Desaster. Steuern wir nicht auf große Probleme bei der Altersversorgung zu?Die Niedrigzinsen sind in der Tat eine Herausforderung für alle Langfristanleger, auch weil die Regulierungen auf der Anlageseite aus Zeiten mit normalem Zinsniveau stammen. Es gibt nicht genug Möglichkeiten, adäquat zu diversifizieren und schnell umzuschichten. Glücklicherweise ist unser gesetzliches, umlagenfinanziertes Rentensystem davon nicht ganz so stark betroffen. Auch die betrieblichen Rentensysteme sind insgesamt noch sehr stabil, wobei das Thema in Tarifverhandlungen eine größere Rolle spielen sollte. Lebensversicherungen sind aber massiv unter Druck geraten.- Was also tun?Man muss alle drei Systeme anschauen, um Lücken zu identifizieren und Lösungen zu finden. Generell gilt, dass Aktien ins Portfolio gehören. Wie hoch die Aktienquote sein sollte, hängt vom Lebensalter ab. Es gibt eine Faustregel, die lautet: 100 minus Lebensalter. Ich räume aber ein, dass diesen Wert in Deutschland kaum einer schafft. Ich auch nicht.- Ist das die einzige Möglichkeit?Nein. Die Verlängerung der Lebensarbeitszeit hat starke Auswirkungen. Es gibt nur die Alternative mehr zu sparen, was durch die Niedrigzinsen erschwert wird, oder länger zu arbeiten.- Die Beschäftigtenzahl in Deutschland geht zurück. Frauen, aber auch Zuwanderer, könnten den Rückgang ausgleichen.Ja, auch hier hat die Regierung Schröder Weichen gestellt. Der Erwerbsanteil der Frauen ist seit 2004 signifikant gestiegen, vor allem aber durch Teilzeitarbeit. Es muss nun mehr Vollzeitstellen geben.- Bei der Zuwanderung gibt es Forderungen, stärker zu steuern.Das ist schwierig. Mit der Green Card für Inder hat es die Regierung Schröder ja versucht. Wir müssen die Rahmendaten verändern, etwa durch die Einrichtung internationaler Schulen. Dann bekommen wir auch mehr Zuwanderung qualifizierter Kräfte, die von multinationalen Unternehmen, aber auch von Mittelständlern, gebraucht werden. Wir dürfen uns aber auch nicht der Zuwanderung von Flüchtlingen verschließen und müssen ihnen Chancen einräumen.—-Das Interview führte Gerhard Bläske.