LEITARTIKEL

Stillstand statt Aufbruch

Immerhin. CDU, CSU und SPD haben die erste Hürde auf dem Weg zu einer neuen gemeinsamen Regierung genommen. Nach fünf Tagen Sondierung und einem aufreibenden Schlussmarathon liegt ein Ergebnis der Unterhändler auf dem Tisch. Darauf können...

Stillstand statt Aufbruch

Immerhin. CDU, CSU und SPD haben die erste Hürde auf dem Weg zu einer neuen gemeinsamen Regierung genommen. Nach fünf Tagen Sondierung und einem aufreibenden Schlussmarathon liegt ein Ergebnis der Unterhändler auf dem Tisch. Darauf können Koalitionsverhandlungen aufbauen. Ein zweites Fiasko nach der Jamaika-Sondierung bleibt aus. Bis Ostern könnte Deutschland wieder eine handlungsfähige Regierung haben und keine geschäftsführende mehr. Die SPD braucht dazu noch das Votum ihres Parteitages zur Aufnahme von Koalitionsgesprächen und später jenes ihrer Mitglieder, um den Koalitionsvertrag zu billigen. Damit enden auch schon die guten Nachrichten.Denn das Ergebnis auf 28 Seiten aus der Sondierungsrunde verspricht Stillstand statt Aufbruch. Nur ein Land, dessen Regierung Wirtschafts- und Finanzpolitik gestaltet, kann wachsen. Wer nur verwaltet, fällt im internationalen Wettbewerb zurück. Ökonomen hatten kurz nach der Bundestagswahl entwarnt: Das Wachstum hierzulande werde die Zeit des Interregnums ohne Blessuren überstehen. Wohl wahr, ein Land mit guter Administration funktioniert weiter. Diese kurzfristige Prognose steht nun aber langfristig in Frage, da die neue Regierung keine Anstalten macht, den Standort Deutschland zu stärken. Die SPD frohlockt, viele ihrer Umverteilungsversprechen durchgesetzt zu haben. Die CSU macht ebenfalls Klientelpolitik. Die CDU setzt dem wenig entgegen. Wer anderen strukturelle Änderungen und Haushaltskonsolidierung predigt, wie die Regierung in Berlin, tut gut daran, auch selbst diesen Weg zu beschreiten. Ein Beschluss wie der Ausbau zum flächendeckenden Glasfasernetz für Breitbandtechnologie ist ebenso erfreulich wie teuer, sorgt aber allenfalls dafür, den Anschluss an andere Industrieländer nicht zu verlieren.Statt bessere Strukturen zu kreieren, macht die angehende große Koalition Versprechen zulasten Dritter. Eine Steuerstrukturreform für die Bürger, eine international wettbewerbsfähige Unternehmensbesteuerung, die Reformen in den USA oder Frankreich etwas entgegensetzt – dies alles lässt das Sondierungsergebnis vermissen. Die Zusage, Steuern nicht zu erhöhen, verpflichtet die künftige Koalition immerhin zu Mäßigung, blockiert aber auch Neuerungen. Zudem lassen die Sondierer die Steuerzahler weiterhin bluten. Aus dem Finanztopf von 45 Mrd. Euro, der dem Bund für die gesamte Legislaturperiode zusätzlich für politische Gestaltung zur Verfügung stand, wird weniger als ein Viertel an die Steuerzahler zurückgehen. Den größten Teil verteilt der Bund. Die Steuerquote wird weiter steigen, der Spielraum für private Entscheidungen enger. Erleichterungen bei der kalten Progression fallen ebenso aus wie beim Spitzensteuersatz, der bereits bei einem mittleren Einkommen greift. Der Abbau des Solidaritätszuschlags mag zwar nach dem Plan der Sondierer neun Zehntel der Zahler entlasten, gibt aber nur etwas mehr als ein Zehntel des Aufkommens in den nächsten vier Jahren zurück. Untere Einkommensklassen, die überhaupt keine Lohnsteuer zahlen, werden vom Wegfall der Zuschlagsteuer nichts spüren. Obere Einkommensklassen – darunter Personen- und Kapitalgesellschaften – werden auch nichts spüren, sie zahlen bei einer Freigrenze voll weiter.Auch die Abschaffung der Abgeltungsteuer auf Zinsen ist ein Geschäft zulasten Dritter. Die Rückkehr zur individuellen Besteuerung führt zu einem gespaltenen und komplizierten Steuerregime zwischen Erträgen aus Zinsen und Dividenden – alles andere als ein Beitrag zum Bürokratieabbau. Die Finanzbranche muss sich auf hohe Kosten für die erneute Umstellung ihrer IT-Systeme vorbereiten. Für die Entlastung der Krankenversicherten von Zusatzbeiträgen lässt die angehende neue große Koalition die Arbeitgeber zahlen. Die paritätische Finanzierung ist dabei ohnehin eine schiefe Sichtweise – sie blickt nur auf Beiträge und lässt die enormen Lohnfortzahlungen der Arbeitgeber in der Rechnung außen vor. Auch die Aufstockung der Mütterrente nimmt Umwege – über die Beitragszahler belastet sie die arbeitende Bevölkerung, obwohl eine solche Sozialleistung in den steuerfinanzierten Etat gehört. Die ungeprüfte Festschreibung des Rentenniveaus bei 48 % belastet ebenso künftige Generationen.Manches richten könnten noch die Koalitionsverhandlungen. Doch diese Hoffnung ist gering. Die schwache SPD-Führung hat sich ihrer Basis völlig ausgeliefert. Sie zittert mehr um ihr Überleben, als dass sie neue, konstruktive Wege beschreiten würde.——–Von Angela WefersStatt bessere Strukturen für die deutsche Wirtschaft zu kreieren, macht die angehende große Koalition Umverteilungsversprechen zulasten Dritter.——-