LEITARTIKEL

Stimulus? Nein danke!

Die Erkenntnis, dass Chinas Wirtschaft einem schleichenden Wachstumsverlust anheimfällt, ist nicht gerade neu. So richtig wahrhaben will man es dennoch nicht, zumindest nicht an den Finanzmärkten und schon gar nicht in der Rohstoffbranche, die auf...

Stimulus? Nein danke!

Die Erkenntnis, dass Chinas Wirtschaft einem schleichenden Wachstumsverlust anheimfällt, ist nicht gerade neu. So richtig wahrhaben will man es dennoch nicht, zumindest nicht an den Finanzmärkten und schon gar nicht in der Rohstoffbranche, die auf den unablässig expandierenden Ressourcenhunger der weltweit zweitgrößten Volkswirtschaft setzt. Mit größtem Unbehagen sehen die Akteure, wie die Wachstumsrate des chinesischen Bruttoinlandsprodukts (BIP) im dritten Quartal von zuvor 7,5 % auf 7,3 % gedrückt wurde und sich auch im Schlussquartal 2014 kaum noch signifikant aufbäumen dürfte. Erstmals seit der Jahrtausendwende droht die chinesische Regierung ihr offizielles Jahresziel für das BIP-Wachstum von derzeit 7,5 % zu verfehlen.Noch bis vor kurzem waren die Marktteilnehmer davon ausgegangen, dass Peking trotz aller Lippenbekenntnisse zur Hinnahme gedrückter Wachstumsraten im Dienste struktureller Reformen noch irgendwelche Last-Minute-Stimuli hervorzaubern wird, um die offizielle Mindestvorgabe zu erreichen. Das Warten auf neue Konjunkturpakete ist jedoch vergebens. Die Weltwirtschaft muss sich auf eine Zukunft einstellen, in der man sich nicht einmal mehr auf das chinesische Wachstumsziel verlassen kann.Wie aber kann es sein, dass die Regierung so unchinesisch cool mit der Wachstumsabkühlung umgeht? Nun, es hat zahlreiche kleinere und gezielte Offensiven zur diskreten Wachstumsstimulierung gegeben. Deren Effekte wurden allerdings von einer kräftiger als erwartet ausgefallenen Immobilienpreiskorrektur und ihren Folgewirkungen, nämlich einem sehr starken Dynamikabfall bei den Immobilieninvestitionen und der Bauaktivität, überlagert. Dass Peking darob nicht in Panik verfallen ist, um am Ende doch das Koste-was-es-wolle-Konjunkturpaket loszutreten, hängt mit der Wechselwirkung zwischen BIP-Wachstum und dem Faktor “soziale Stabilität” zusammen, der vor allem an Beschäftigungsraten und Einkommensentwicklung festgemacht wird.Letztlich beruht das ganze Theater um das chinesische Wachstumsziel auf der etwas überholt wirkenden Annahme, dass man in China auf Gedeih und Verderb auf Wachstumsraten jenseits von 8 % angewiesen ist, damit es nicht zu jenen Arbeitslosigkeitswellen und Einkommensdellen kommt, die man als Quelle für soziales Aufbegehren gegen Einheitspartei und ein autoritäreres Staatswesen fürchtet. Es sickern immer mehr einschlägige Analysen durch, die zeigen, dass die Verbindung zwischen Chinas Wachstumsentwicklung bei der Nachkommastelle und der Beschäftigungs- und Einkommenswirkung lockerer geworden ist. Oder anders ausgedrückt, Chinas Wirtschaft hat einiges an numerischem Schwung verloren, aber der Normalverbraucher kriegt davon wenig mit. Dies zeigen Erhebungen, die wohlgemerkt nicht von der chinesischen Regierung, sondern amerikanischen Think Tanks stammen.Trotz einer längeren Phase sinkender BIP-Wachstumsraten, nachlassender Anlageinvestitionen und schwacher Kreditnachfrage erweist sich der chinesische Arbeitsmarkt als bemerkenswert stabil, und zwar in Bezug auf gut qualifizierte wie auch ungeschulte Arbeitskräfte. Auch in Sachen Streiks, Arbeiterunruhen und anderen Konflikten zeigt der Trend soweit messbar in Richtung Stabilität. Peking kann sich anscheinend eine schwächere BIP-Performance leisten, ohne soziale und wirtschaftliche Stabilität preiszugeben.China wächst deutlich langsamer, aber China geht es trotzdem gut, könnte man auch sagen. Vor diesem Hintergrund macht eines gar keinen Sinn: nämlich plumpe Stimulierungsgesten. Angesichts niedriger Inflationsraten etwa könnte die Zentralbank ordentlich mit den Zinsen runter, aber derzeit ist nicht ersichtlich, wie abseits des Finanzsektors die breitere Wirtschaft von einem Kreditschwapp profitieren sollte. Die Liquidität ist reichhaltig, aber die Kreditnachfrage der Unternehmen lässt deutlich nach, während ihre Gewinne noch sehr robust wirken. Auch dies ist eine Entwicklung, die etablierte Schemata konterkariert. So lange sich Beschäftigungsraten, Einkommensentwicklung und Unternehmensprofite so verhalten wie bislang, gibt es für Peking keinen Anlass für irgendwelche groß angelegten Stimuli oder Konjunkturpakete, und sie werden auch nicht kommen. Ob am Jahresende 2014 beim BIP-Wachstums hinter die 7 nun eine 2, 3 oder 4 gemalt werden darf, ist für Chinas Wirtschaftsverfassung nicht sonderlich erheblich und sollte niemanden aus der Fassung bringen, es sei denn natürlich, man ist als Rohstoffexporteur unterwegs.——–Von Norbert HellmannChina wächst deutlich langsamer, aber China geht es trotzdem gut. Vor diesem Hintergrund kann man in Peking getrost auf einen Konjunkturstimulus verzichten.——-