IM BLICKFELD

Streubesitzdividenden im Visier des Fiskus

Von Angela Wefers, Berlin Börsen-Zeitung, 10.10.2012 Es ist eine endlose Geschichte, die aber nichts an Brisanz eingebüßt hat: die drohende Besteuerung von Streubesitzdividenden in Deutschland. Die Wirtschaft war umgehend in Alarmbereitschaft, als...

Streubesitzdividenden im Visier des Fiskus

Von Angela Wefers, BerlinEs ist eine endlose Geschichte, die aber nichts an Brisanz eingebüßt hat: die drohende Besteuerung von Streubesitzdividenden in Deutschland. Die Wirtschaft war umgehend in Alarmbereitschaft, als die Länder im Juli über den Bundesrat dieses Thema wiederbelebten, das viele längst erledigt glaubten. In ihrer Stellungnahme zum Jahressteuergesetz 2013 forderte die Länderkammer die steuerliche Belastung von inländischen Streubesitzdividenden. Die inländische Steuerbefreiung für Kapitalerträge aus Streubesitz bis zu einer Beteiligungshöhe von 10 % soll aufgehoben werden, schreibt der Bundesrat. Damit wären diese und geringere Beteiligungen nicht mehr steuerbefreit. Protest der WirtschaftAus der Wirtschaft kam umgehend heftiger Protest. Die sogenannte Achterbande – bestehend aus dem Industrieverband BDI, der Arbeitgebervereinigung BDA, der obersten Kammervereinigung DIHK, den Branchenverbänden aus Kreditwirtschaft und Assekuranz BdB und GDV, den Einzel- und Großhandelsorganisationen HDE und BGA sowie dem Handwerk – unternahm einen gemeinschaftlichen Vorstoß in Richtung Bundesländer. An die Länderfinanzminister schrieben sie: “Auch nach weiterer gründlicher Prüfung müssen wir dringend davon abraten, dieses Vorhaben erneut aufzugreifen.” Der Investmentverband BVI und die Deutsche Kreditwirtschaft DK stießen in dasselbe Horn. Kaskadeneffekte befürchtetDie Hauptbedenken der Wirtschaft bei der Besteuerung von Streubesitzdividenden richten sich gegen die zu erwartende Mehrfachbelastung bei Mutter-Tochter-Verhältnissen. Mit zunehmender Zahl der Unternehmensebenen, über die Dividenden ausgeschüttet werden, würde diese Belastung steigen. Es käme zu sogenannten Kaskadeneffekten – “und damit zu Steuerbelastungen in erdrückender Höhe”, konstatieren die Verbände. Liegt die Gesamtbelastung bislang bei 49 % des Gewinns, – nach Abzug von Gewerbe- und Körperschaftsteuer beim Unternehmen von ca. 30 % sowie Abgeltungsteuer von 25 % und darauf erhobenem Solidaritätszuschlag von 5,5 % beim Anteilseigner – würde sich dieser Wert explosionsartig erhöhen: auf 65 % bei der Ausschüttung über zwei Unternehmensebenen, auf 76 % bei drei Ebenen und auf 83 % bei vier Ebenen. Mit einer “auch im internationalen Bereich völlig überzogenen Steuerlast” würde dem “Unternehmensstandort Deutschland ein schwerer Schaden” zugefügt, warnt die Achterbande.Bislang werden in- und ausländische Dividenden und Veräußerungsgewinne aus Beteiligungen fast nicht belastet. Faktisch funktioniert es so, dass die Dividende unabhängig von der Steuerbefreiung bei einer Tochtergesellschaft abgezogen wird, die körperschaftsteuerpflichtige Muttergesellschaft diese bei ihrer Steuerveranlagung aber voll anrechnen kann. Bei ausländischen Unternehmen, die keine Betriebsstätte in Deutschland haben, wirkt die Steuer jedoch abgeltend. Dies hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) in einem Urteil vom Oktober 2011 als “nicht zu rechtfertigende Diskriminierung” ausländischer Dividendenempfänger mit Streubesitzbeteiligung moniert und an die EU-Kapitalverkehrsfreiheit erinnert.Abhilfe ließe sich auf zwei Wegen schaffen: Dividenden an ausländische Empfänger werden ebenfalls steuerfrei gestellt. Dafür spricht sich die Wirtschaft aus und verweist auf ein antragsgebundenes Erstattungsverfahren, das der EuGH angeregt hatte. Alternativ könnte die inländische Steuerbefreiung für den Streubesitz aufgehoben werden. Dies verlangt der Bundesrat mit Blick auf zu erwartende hohe Steuerausfälle bei der ersten Variante.Dass die Problematik nicht nur ein Thema für große Konzerne ist, zeigt das Treffen von Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) mit der Gründerszene vor wenigen Tagen. Dort übergaben die Vertreter von Start-ups und Business Angels ein Manifest gegen die Besteuerung von Streubesitzdividenden, weil diese Beteiligungen für sie eine wichtige Quelle der Unternehmensfinanzierung darstellten. Rösler erklärte, er teile diese Sorge.Auch im Bundestag lehnen die Koalitionsfraktionen den Vorstoß des Bundesrats ab. “Wir können europäische Vorgaben nicht immer einseitig zulasten der deutschen Wirtschaft auslegen”, erklärte dazu jüngst der finanzpolitische Sprecher der Unionsfraktion Klaus-Peter Flosbach. Steuergesetzgebung ist im Bundesrat zustimmungspflichtig. So könnte es durchaus sein, dass die Länderkammer das Jahressteuergesetz im November stoppt und in den Vermittlungsausschuss schickt, um diesen Punkt durchzusetzen. Das letzte Wort zur Steuerfreiheit von Streubesitzdividenden ist noch nicht gesprochen.