NOTIERT IN LONDON

Sugar Baby University

Studenten haben es derzeit in Großbritannien nicht leicht. Mehr als 4 000 befinden sich unter verschärften Bedingungen in Quarantäne. Natürlich waren zu Beginn des Semesters Covid-19-Ausbrüche zu erwarten, doch viele Hochschulen bestanden darauf,...

Sugar Baby University

Studenten haben es derzeit in Großbritannien nicht leicht. Mehr als 4 000 befinden sich unter verschärften Bedingungen in Quarantäne. Natürlich waren zu Beginn des Semesters Covid-19-Ausbrüche zu erwarten, doch viele Hochschulen bestanden darauf, dass die Studierenden persönlich auf dem Campus erscheinen und ihre Wohnheimplätze beziehen, obwohl der Lehrbetrieb mit wenigen Ausnahmen online stattfindet. Schließlich geht es für die Universitäten um erkleckliche Mieteinnahmen. Wer gegen die Vorgaben zur Selbstisolierung verstößt, muss nicht nur damit rechnen, aus dem Wohnheim geworfen zu werden. Vielerorts wird auch mit Exmatrikulation gedroht. Ganze Wohnheime wurden abgeriegelt. In Manchester hatten Bewohner mit Post-it-Zetteln Schriftzüge wie “Lasst uns raus!” und “HMP MMU” geklebt, die Kurzform für “Her Majesty’s Prison Manchester Metropolitan University”. Prompt wurden sie von der Verwaltung per E-Mail aufgefordert, die Zettel abzunehmen. Kritik ist unerwünscht. Studenten werden wesentlich schwerwiegenderen Einschränkungen unterworfen als andere Bürger. Zudem wird ihnen unterstellt, durch verantwortungsloses Verhalten das Coronavirus zu verbreiten.Dabei sind sie doch eigentlich Kunden der Universitäten. So lautete zumindest die abstruse Begründung, als Labour 1998 unter Tony Blair Studiengebühren einführte, die in den Folgejahren rasant stiegen. Mittlerweile dürfen von einheimischen Studierenden 9 250 Pfund pro Jahr verlangt werden. Die meisten englischen Hochschulen tun das auch, egal wie es um ihr Angebot bestellt ist. Studienkredite der öffentlichen Hand gibt es zwar, allerdings wird darauf ein Zins von 5,6 % erhoben. Das mag man angesichts der in der westlichen Welt seit Jahren anhaltenden Nullzinspolitik erstaunlich finden. Für viele Studierende bedeutet das jedoch, dass sie die Hochschule mit erheblichen Schulden verlassen. Andere sehen sich nach alternativen Finanzierungsmodellen um.Zu den Nutznießern gehört der US-Internet-Plattformbetreiber Seeking Arrangement, dessen Geschäftsmodell an Uber oder Airbnb erinnert. Allerdings partizipiert das Unternehmen nicht daran, dass Menschen andere in ihrem Auto mitnehmen oder in ihrer Wohnung wohnen lassen. Seeking Arrangement verdient sein Geld mit der Vermittlung von Sugar Daddies. An britischen Hochschulen gab es der Firma zufolge zu Jahresbeginn mehr als eine halbe Million Sugar Babies – nahezu ausschließlich Frauen, die sich ihr Studium von älteren Männern finanzieren lassen. In den USA liegt das Durchschnittsalter der Sugar Daddies bei 42, das der Sugar Babies bei 24. Natürlich gibt es in allen Beziehungen ein Geben und Nehmen, die traditionelle Ehe ist eine Wirtschaftsgemeinschaft, doch ist es nicht allzu weit hergeholt, hier von einem prostitutionsnahen Geschäft zu sprechen.Das Unternehmen gibt sich unverkrampft und verweist darauf, dass Sugar Babies nicht nur Geld erhalten könnten, sondern auch Mentoring und Hilfe bei der Organisation ihrer Finanzen. In der Bildersprache der Werbematerialien spielen dagegen rote Sportwagen und Champagnergläser eine große Rolle. Die meisten Sugar Babies gibt es Seeking Arrangement zufolge an der University of London (840).Allerdings ist das ein Zusammenschluss einer ganzen Reihe von Hochschulen, zu dem unter anderem die London School of Economics und King’s College London gehören. Realistisch betrachtet ist also die University of Portsmouth (750) der Spitzenreiter, gefolgt von der University of Salford (670). Es dürfte kein Zufall sein, dass beide nicht gerade zu den Spitzenuniversitäten gehören und sich in ärmeren Regionen befinden. Erst auf Platz 10 findet sich mit dem University College London eine Hochschule, die über ihre Region hinaus große Anziehungskraft besitzt. Aus den Vereinigten Staaten weiß man, dass neben Studierenden Angehörige schlecht bezahlter Berufe wie Krankenschwestern die Dienste von Seeking Arrangement in Anspruch nehmen.Die Pandemie dürfte viele Sugar Daddies dazu gebracht haben, sich zurückzuziehen. Sugar Babies müssen sich warm anziehen, denn Internet-Plattformen haben in der Regel keine sozialen Verpflichtungen.