Investitionsprämie

„Superabschreibungen“ – nichts geht ohne Brüssel

Das Wort „Superabschreibungen“ aus dem Koalitionsvertrag 2021 suggeriert eine größere Leichtigkeit, als es der Realität entspricht. Und die Koalitionäre haben vermutlich den Einfluss der EU-Kommission auf das nationale Steuerrecht unterschätzt.

„Superabschreibungen“ – nichts geht ohne Brüssel

Im Koalitionsvertrag heißt es: „Wir wollen eine Investitionsprämie für Klimaschutz und digitale Wirtschaftsgüter schaffen, die den Steuerpflichtigen in den Jahren 2022 und 2023 ermöglicht, einen Anteil der Anschaffungs- und Herstellungskosten der im jeweiligen Jahr angeschafften oder hergestellten Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens, die in besonderer Weise diesen Zwecken dienen, vom steuerlichen Gewinn abzuziehen (,Superabschreibung‘).“

Frühere Regierungen haben ohne größere Hemmungen über steuerrechtliche Regelungen Wirtschaftsförderungen betrieben. Die Erzielung von Einnahmen kann bei Steuern auch den Nebenzweck darstellen, d.h., der verhaltenssteuernde Effekt kann in den Vordergrund rücken.

Abschreibungen, die den realitätsgerechten Aufwand überschreiten, sind Subventionsvorschriften. Subventionsvorschriften unterliegen europarechtlichen und verfassungsrechtlichen Grenzen. So kann eine steuerliche Verschonung eine europarechtliche Beihilfe darstellen, wenn sie eine marktbeeinflussende Wirkung hat (Selektivität). Beihilfen unterliegen einem Durchführungsverbot, d.h., wenn die EU-Kommission nicht in einer Einzelentscheidung oder einer Gruppenfreistellungsverordnung eine Erlaubnis erteilt hat, darf die betreffende Beihilfemaßnahme nicht durchgeführt werden.

Dieses Durchführungsverbot ist „stärker“ als das Prinzip der Bestandskraft; so konnte die EU-Kommission auch viele Jahre nachdem Irland mit Apple eine bestimmte steuerliche Behandlung vereinbart hatte, die Frage der Vereinbarkeit mit dem Beihilferecht aufgreifen. Auch wenn Apple beim Europäischen Gerichtshof in erster Instanz gewonnen hat, die Revision ist weiter anhängig.

Dabei gibt es von Seiten der betroffenen Steuerpflichtigen bislang keine praktische Möglichkeit, eine Klärung der Rechtslage herbeizuführen, bevor die EU-Kommission die Beihilfe zurückfordert. Das Beihilferecht ist insofern anders organisiert als das gleichfalls wettbewerbsrechtliche Kartellrecht, bei dem die betreffenden Unternehmen von sich aus aktiv werden können. Bei Durchführung einer Beihilfe ohne Erlaubnis der EU-Kommission kann diese auch eine Schadensersatzklage gegen den betreffenden Mitgliedstaat anstrengen.

Zurückhaltung ist erstmal o.k.

Im Hinblick auf diese Rechtsunsicherheiten – der Begriff der Beihilfe ist in der Anwendung auf Steuervorschriften traditionell streitig – ist es zunächst nachvollziehbar und richtig, dass die neue Koalition sich etwas bedeckt hält, welche „Superabschreibungen“ überhaupt geplant sind.

Relativ unproblematisch wären also „Superabschreibungen“ für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) im europarechtlichen Sinne; für diese gibt es schon jetzt weitgehende Gruppenfreistellungsverordnungen.

Nun sind Investitionen in den „Klimaschutz und digitale Wirtschaftsgüter“ aber nicht auf KMU begrenzt. Gerade die Energiewende wird auch Großunternehmen und deren Investitionsbereitschaft benötigen. Auch der Wettbewerb um digitale Global Player wird mit KMU nicht zu gewinnen sein. Deshalb wäre es sinnvoll, wenn die Bundesregierung frühzeitig mit der EU-Kommission den Kontakt aufnimmt, um die Parameter einer Fördermaßnahme zu besprechen.

Hinzu kommen verfassungsrechtliche Fragestellungen. Tatbestände, die erkennbar nur bestimmte Personengruppen begünstigen ohne erkennbaren Beitrag im „Klimaschutz“ und/oder in der Schaffung „digitaler Wirtschaftsgüter“, würden als Ungleichbehandlung gegen den Gleichheitssatz verstoßen. Hier ist zwar kein „Vorab-Clearing-Verfahren“ vorgesehen, die politische Gefahr für die neue Regierungskoalition besteht aber auch hier, dass eine Begünstigung im Ergebnis nicht zu halten ist. In der zeitlichen Abfolge dürfte diese Klärung aber nachgelagert zu den europarechtlichen Parametern sein. Politisch ist es auch eher unwahrscheinlich, dass eine Fördermaßnahme, die mit der EU-Kommission abgeklärt wurde, später beim Bundesverfassungsgericht wegen eines Verstoßes gegen den Gleichheitssatz kassiert wird.

Man hört leider nichts dazu, dass Deutschland seine Planungen zu „Superabschreibungen“ mit der EU-Kommission abstimmen würde. Hier allerdings zu glauben, nur weil die EU-Kommission ihrerseits einen „European Green Deal“ verkündet hat, gäbe es kein Konfliktpotenzial, wäre wohl naiv.

Erstes Entgegenkommen

Immerhin ist die neue Koalition der EU-Kommission schon politisch etwas entgegengekommen: Indem die Finanzierung der EEG-Umlage über den Strompreis in den Haushalt überführt wird (geplant ab 1. Januar 2023), kommen auch die Ausnahmen von der EEG-Umlage in den Anwendungsbereich des Beihilferechts: Ab dann würden die Ausnahmen haushaltswirksam und damit „Beihilfe“ im Sinne des AEUV. Die neue Ampel-Koalition wird also – will sie bei der EEG-Umlage und den Energiesteuern Änderungen mit Haushaltswirkung umsetzen – in jedem Fall bei der EU-Kommission vorsprechen müssen. Da es bei den „Superabschreibungen“ zum Teil auch um die Energiewende geht, wäre es wohl sinnvoll, die verschiedenen Maßnahmen frühzeitig mit Brüssel zu koordinieren. Auch eine verengte nationale Perspektive auf die „Energiewende“ wäre wohl zum Scheitern verurteilt.

Sicher ist jedenfalls: Das Wort „Superabschreibungen“ aus dem Koalitionsvertrag 2021 suggeriert eine größere Leichtigkeit, als es der Realität entspricht. Und die Koalitionäre haben vermutlich den Einfluss der EU-Kommission auf das nationale Steuerrecht unterschätzt. Das liegt auch daran, dass das Verständnis für steuerrechtliche Verschonungsregelungen als europarechtliche Beihilfe noch relativ neu ist, frühere Regierungen hatten es da leichter.