NOTIERT IN BERLIN

Superminister auf dem Sockel

Das Bundeswirtschaftsministerium bekommt Zuwachs. Karl Schiller, von 1966 bis 1972 Wirtschaftsminister unter Willy Brandt und in den letzten beiden Jahre zudem Finanzminister, zieht in die Invalidenstraße ein: Die vom Künstler Bertrand Freiesleben...

Superminister auf dem Sockel

Das Bundeswirtschaftsministerium bekommt Zuwachs. Karl Schiller, von 1966 bis 1972 Wirtschaftsminister unter Willy Brandt und in den letzten beiden Jahre zudem Finanzminister, zieht in die Invalidenstraße ein: Die vom Künstler Bertrand Freiesleben gestaltete Büste des Superministers wird sein Nach-Nachfolger Sigmar Gabriel (SPD) an diesem Montag feierlich enthüllen. 14 Amtsinhaber liegen mittlerweile zwischen Gabriel und dem 1994 verstorbenen Schiller.Es mag Gabriel gewurmt haben, dass er tagtäglich, seitdem er im Dezember 2013 sein Amt angetreten hatte, dem CDU-Politiker Ludwig Erhard begegnete. Denn wer das Ministerium betritt, der sieht sich mit einer Bronzebüste des Vaters der Sozialen Marktwirtschaft und ersten Wirtschaftsministers der noch jungen Bundesrepublik konfrontiert. Erhard kam 1949 ins Amt und blieb Minister bis 1963, bevor er Bundeskanzler wurde. 1966 musste er seinen Platz als Regierungschef für Kurt Georg Kiesinger an der Spitze der ersten großen Koalition räumen.Dabei, so mag sich Gabriel gedacht haben, hat auch die SPD große wirtschaftspolitische Denker zu bieten, denen ein angemessener Platz gebührt. Seite an Seite wird die Büste Schillers als Pendant nun neben jener Erhards auf dem Sockel stehen – Wunschplatzierung des Künstlers und vom unversehens vorbeieilenden Minister ebenfalls für diesen Standort auserkoren. Schiller steht für die konzertierte Aktion, in der Wirtschaftsverbände und Gewerkschaften, der Sachverständigenrat für Wirtschaft und die Bundesbank sich mit der Regierung berieten, um wirtschaftspolitische Probleme im Konsens zu lösen. Schiller steht auch für die Globalsteuerung, die davon ausgeht, dass Wirtschaftspolitik innerhalb des Ordnungsrahmens der Marktwirtschaft Prozesse lenken kann.Schiller haftet der Stempel der von John Maynard Keynes beeinflussten Politik der Nachfragesteuerung an. Aber er war ein differenzierter Denker: Mitte der 1980er Jahre bekannte er sich in einem Vortrag zu den Grenzen einer “expansiven Nachfragepolitik”, die unter den Bedingungen von Angebotsschocks wie der Ölverknappung und tiefgreifendem Strukturwandel aus seiner Sicht “in der Tat nicht angemessen war”. *So sehr die Frage der “richtigen” Wirtschaftspolitik immer noch umstritten ist, so wenig wird heute darüber profund zwischen Politik und Wissenschaft gesprochen. Dies beklagte dieser Tage Wolfgang Clement, Nachfolger Schillers, Minister von 2002 bis 2005, Ex-SPD-Mitglied und heute Botschafter für die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft. Clement sprach als Laudator über die couragierten Positionierungen des Sachverständigenrats für Wirtschaft, dem die Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der CDU/CSU (MIT) ihren Mittelstandspreis verlieh. Der Rat trotze dem Hagel – teils sarkastischer – Kritik und äußere selbstbewusst auch unpopuläre Meinungen. Dieses unabhängige und für die Politik oftmals lästige Gremium hatte übrigens 1963 Erhard ins Leben gerufen.