IM BLICKFELD

Symbolpolitik mit der Abgeltungsteuer

Von Angela Wefers, Berlin Börsen-Zeitung, 24.1.2018 Mit einem knappen Satz im Sondierungspapier haben CDU, CSU und SPD für Wirbel in der Finanzbranche gesorgt: "Die Abgeltungsteuer auf Zinserträge wird mit der Etablierung des automatischen...

Symbolpolitik mit der Abgeltungsteuer

Von Angela Wefers, BerlinMit einem knappen Satz im Sondierungspapier haben CDU, CSU und SPD für Wirbel in der Finanzbranche gesorgt: “Die Abgeltungsteuer auf Zinserträge wird mit der Etablierung des automatischen Informationsaustauschs abgeschafft.” Politisch haben sich die Protagonisten damit für den Weg des geringsten Widerstands entschieden. In der Sache löst die Entscheidung enorme bürokratische Kosten bei Steuerzahlern, Banken und Finanzämtern aus. Ob das Steueraufkommen für den Fiskus spürbar steigt, ist keineswegs sicher. Denn ein gesplittetes Steuerregime, das bei der Belastung von Kapitalerträgen unterscheidet zwischen Zinsen einerseits und Dividenden sowie Veräußerungsgewinnen andererseits, kreiert Abgrenzungsprobleme, lädt zu Ausweichreaktionen und zu Steuergestaltung ein. Die Vorteile der Abgeltungsteuer – die enorme Vereinfachung für Bürger, Staat und Finanzbranche – haben die Sondierer mit einem Federstrich geopfert. Die Probleme fangen erst an.Überraschend kam die Wendung dennoch nicht. Die SPD propagiert die Abgeltungsteuer als ungerecht mit der Begründung, die arbeitende Bevölkerung werde stärker besteuert als Privatiers, die von Einkünften aus ihrem Vermögen leben. Eindrucksvoll ist die Spanne zwischen dem Spitzensteuersatz von 42 % und dem Abgeltungssatz von 25 %. Auf beides fallen noch Solidaritätszuschlag und gegebenenfalls Kirchensteuern an. So eindringlich das Bild ist, so schief ist es auch. Tatsächlich ist die Abgeltungsteuer eine Flat Tax, die den ersten bis letzten Euro gleichermaßen belastet. Damit korrespondiert sie nicht mit dem Grenz-, sondern dem Durchschnittssteuersatz des progressiven Einkommensteuertarifs. Ein Ehepaar muss gemeinsam ungefähr 100 000 Euro verdienen, um auf eine Durchschnittsbelastung von 25 % zu kommen. Niedrigere Einkommen können vom Finanzamt Geld nach dem individuellen Einkommensteuersatz zurückfordern. Finanzkrise mit SteuereffektEin weiteres Argument gegen die Abgeltungsteuer ist der Rückgang der Einnahmen. 2009, im Jahr der Einführung, wirkte in der Steuerstatistik noch die Regelung des Zinsabschlags nach. 2009 wurde aber hierzulande nicht nur die Abgeltungsteuer eingeführt, nach der Finanzkrise brachen auch die Kapitalerträge ein, und die Zeit niedriger Zinsen begann. Das Steueraufkommen sank. Ein Regimewechsel wird es nicht wieder nach oben treiben. Die Erwartung zart steigender Zinsen schlägt sich durchaus in der Steuerschätzung bis 2020 nieder (siehe Grafik).Die Union hatte der SPD in der Sondierung jedoch wenig entgegenzusetzen. Ihr Parteifreund Wolfgang Schäuble (CDU) hatte als Bundesfinanzminister den Kurs ausgegeben, die Abgeltungsteuer wieder abzuschaffen, wenn der automatische Informationsaustausch zwischen den internationalen Steuerbehörden funktioniert. Seit Ende September ist das Projekt realisiert. Deutschland tauscht mit 49 Staaten Daten, damit auch Auslandsvermögen korrekt besteuert werden. Die Krux daran: Die Steuerverwaltungen der 16 Bundesländer können dem Vernehmen nach die zentral beim Bund angelieferten Daten mit ihren vielfältigen IT-Systemen nicht abrufen. Frühere Versuche, die Datenverarbeitungssysteme der Steuerverwaltungen zu harmonisieren, sind gescheitert. Das verschafft den Sparern Luft, wenn das Wort der Sondierer gilt. “Etabliert” sein wird der Informationsaustausch lang noch nicht.Für den Fiskus ist die Beschränkung auf die Streichung der Abgeltungsteuer nur auf Zinsen das kleinere von vielen möglichen Übeln. Den Finanzämtern steht bevor, wieder im Detail zu prüfen. Mit der Abkehr von der Pauschalsteuer muss der Steuerzahler wieder Werbungskosten und Verluste geltend machen dürfen. Dies schmälert den fiskalischen Ertrag. Würde die Abgeltungsteuer auch bei Dividenden aufgegeben, müssten die bereits vom Unternehmen gezahlten Ertragsteuern als Vorbelastung angerechnet oder etwa mit einem Halbeinkünfteverfahren berücksichtigt werden. Bei Veräußerungsgewinnen wäre eine Spekulationsfrist erforderlich. Das Bundesfinanzministerium hatte dies 2017 intern durchgerechnet. Das Ergebnis: Steuermindereinnahmen.Für die Kreditwirtschaft war die Einführung der Abgeltungsteuer eines ihrer teuersten IT-Projekte. Auch die Abschaffung wird sie erheblich treffen. Die Investmentbranche hat zudem gerade ein neues Steuerregime umgesetzt. Seit 2018 werden nicht mehr die einzelnen Kapitalerträge in den Fonds besteuert, sondern der Investmentertrag. Es wird hohe Kunst, wenn nicht aussichtslos sein, Direkt- und Fondsanlagen unter einem gesplitteten Steuerregime, das Zinsen und Dividenden unterscheidet, gleich zu besteuern. Die Branche kann sich schon auf die nächste Reform gefasst machen.Nahe liegt, dass bei höherer Besteuerung von Zinsen die Unternehmensfinanzierung über Anleihen teurer wird, soll der Anleger dieselbe Rendite erhalten. Die grundsätzlich gute Idee, die steuerlichen Nachteile der Eigenkapitalfinanzierung zu beseitigen, wird aber durch die einseitige Abschaffung der Abgeltungsteuer auf Zinsen nicht verwirklicht. Die Effekte sind unkalkulierbar. Der Sachverständigenrat für Wirtschaft wirbt für steuerliche Finanzierungsneutralität durch Zinsbereinigung des Grundkapitals unter Beibehaltung des Systems der dualen Einkommensteuer. Dies wäre der Weg auch für die große Koalition – anstelle von teurer Symbolpolitik.