System unter Rechtfertigungsdruck

Deutsche Gesundheitskosten weit über EU-Niveau - Wirkung aber nur begrenzt

System unter Rechtfertigungsdruck

lz Frankfurt – Die Gesundheitsausgaben wachsen in Deutschland viel stärker als im europäischen Durchschnitt, was den Druck auf Krankenkassen, Leistungserbringer und Beitragszahler enorm erhöht. Während die Aufwendungen für Arztbesuche, Krankenhausaufenthalte, Medikation und sonstige Therapien zwischen 2009 und 2015 hierzulande inflationsbereinigt jährlich um 2 % zugelegt haben, hat sich das Ausgabenwachstum in den meisten anderen EU-Ländern eher abgeschwächt. Im Schnitt waren es dort nur 0,7 %. Das geht aus der neuesten Studie “Health at a Glance: Europe 2016” hervor, welche die EU-Kommission und die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) vorgelegt haben.Der Bericht zeigt, dass Deutschland mit 11,1 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) zusammen mit Schweden innerhalb der EU-Staaten am meisten für Gesundheit ausgibt. Im EU-Schnitt lag der Anteil 2015 indes nur bei 9,9 % der Wirtschaftsleistung. Innerhalb Europas waren nur in der Schweiz die Gesundheitsaufwendungen höher (11,5 %). Gemessen an den Pro-Kopf-Ausgaben stellt sich die Rangfolge etwas anders dar (siehe Grafik), aber auch hier liegt Deutschland in der Spitzengruppe.Die hohen Ausgaben in Deutschland spiegeln sich in einer hohen Verfügbarkeit von Gesundheitspersonal und medizinischer Infrastruktur wie auch in einer hohen Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen durch die Bevölkerung: Es gibt in Deutschland sowohl mehr Ärztinnen und Ärzte (4,1 statt 3,5 je 1 000 Einwohner) als auch mehr Krankenpflegepersonal (13,1 statt 8,4 je 1 000 Einwohner) als im EU-Schnitt. Dies trägt zum guten Zugang der Bevölkerung zu Gesundheitsleistungen und einem vergleichsweise geringen ungedeckten medizinischen Bedarf bei. So haben in Deutschland im Jahr 2014 nur 1,6 % der Bevölkerung aus finanziellen, räumlichen oder zeitlichen Gründen oder aufgrund zu langer Wartezeiten auf eine medizinische Behandlung verzichtet, heißt es im Bericht. Im EU-Durchschnitt waren es doppelt so viel.Deutschland hat relativ zur Bevölkerung auch die meisten Krankenhausbetten in der EU (8,2 je 100 000 Einwohner gegenüber 5,2 im EU-Durchschnitt) und mehr als doppelt so viele Magnetresonanzgeräte (30,5 je eine Million Einwohner) als die EU-Länder im Schnitt. Und es gibt hierzulande vergleichsweise viele Krankenhausbehandlungen und eine hohe Anzahl chirurgischer Eingriffe. Zudem werden in Deutschland mit Abstand die meisten Erweiterungen der Herzkranzgefäße (453 je 100 000 Einwohner) durchgeführt. Diese Zahl liegt um 40 % höher als in Österreich, dem Land mit der zweithöchsten Quote in Europa.Trotz dieses hohen Kostenaufwands erreichen die Deutschen bei der Lebenserwartung (81,2 Jahre) nur etwa EU-Durchschnitt (80,9 Jahre). Spanier und Italiener leben den OECD-Statistiken zufolge mit deutlich unterdurchschnittlichen Gesundheitsausgaben rund zwei Jahre länger (83,3/83,2 Jahre).