ANSICHTSSACHE

Talent für Zahlen allein reicht nicht

Börsen-Zeitung, 1.6.2012 Wohl kaum ein Job hat sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten so verändert wie der des Finanzchefs. Seine Aufgabe lag früher vor allem darin, sich rein auf die Zahlen zu konzentrieren und dem Vorstand beratend zur Seite zu...

Talent für Zahlen allein reicht nicht

Wohl kaum ein Job hat sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten so verändert wie der des Finanzchefs. Seine Aufgabe lag früher vor allem darin, sich rein auf die Zahlen zu konzentrieren und dem Vorstand beratend zur Seite zu stehen. Heute agiert er im Vorstand auf Augenhöhe mit dem Vorstandsvorsitzenden. Er ist die entscheidende Schnittstelle für die Geschäftsbereiche eines Unternehmens. Er muss mittlerweile nicht nur solide prüfen und rechnen, sondern auch Urteilskraft und Teamgeist besitzen, über ein breites Basiswissen verfügen und vor allem kommunizieren können – mit Analysten, Journalisten, Managern, Kunden und Mitarbeitern.Gerade in einem internationalen Konzern wie Henkel sind die Aufgaben des Finanzbereichs komplex. Das liegt zum einen an den kürzer werdenden Konjunktur- und Marktzyklen sowie am steigenden Kosten- und Wettbewerbsdruck. Zum anderen beeinflusst die deutlich höhere Volatilität der Märkte die unternehmerischen Entscheidungen – gerade die aktuelle Schulden- und Finanzkrise stellt uns vor völlig neue Herausforderungen.Auch übernimmt der zentrale Finanzbereich heute mehr Aufgaben als früher – allein schon durch die sogenannten Shared Services, durch die Prozesse im Unternehmen länderübergreifend effizienter, schneller und flexibler gemacht werden. Dabei ist eine Gesamtbetrachtung aller Prozesse – von der Beschaffung bis zur Buchung der Erlöse – unerlässlich, um das Optimierungspotenzial voll ausschöpfen zu können. Gleichzeitig ist der Finanzbereich heute stärker in die Weiterentwicklung des Unternehmens eingebunden, beispielsweise bei der gezielten Steuerung des Geschäfts- und Markenportfolios.Diese strategische Verantwortung hat Henkel früh in das Selbstverständnis des Finanzbereichs integriert und seitdem immer weiter ausgebaut. Die Umsetzbarkeit der Unternehmensstrategie zu prüfen und Risiken aufzuzeigen gehört heute ganz selbstverständlich in das Finanzressort. Zudem muss es Werttreiber für das Unternehmen identifizieren und ausschöpfen. Suche nach AllroundernDie Herausforderung besteht oft darin, Entscheidungen schnell, aber gleichzeitig auch umsichtig zu treffen. Um diese Herausforderung zu meistern setzen wir auf eine ganzheitliche Steuerung der Finanzorganisation und eine Vernetzung mit sämtlichen Geschäftsbereichen. Wir nennen diese bereichs- und funktionsübergreifende Zusammenarbeit “Business Partnering”. Ziel ist, mehr Transparenz in den Abläufen zu erreichen und mehr Verständnis für die individuellen Bedürfnisse der einzelnen Abteilungen zu entwickeln.Das Konzept “Business Partnering” verlangt von den Mitarbeitern und Führungskräften des Finanzressorts bestimmte Fähigkeiten. Gefragt ist nicht mehr der reine Finanzexperte, der strikt innerhalb seines angestammten Arbeitsfeldes agiert, sondern ein mit breitem Know-how ausgestatteter Finanz-Allrounder. Umfassende Kenntnisse der gesetzlichen Richtlinien, sehr gute analytische Fähigkeiten, Netzwerk- und Teamfähigkeit sowie ein übergreifendes Verständnis für die Geschäftsentwicklung sind dafür unabdingbare Voraussetzungen.Auch führt die neue Rolle als Business Partner dazu, dass die Finanzexperten mit den Geschäftspartnern intern und extern deutlich mehr kommunizieren müssen. Gerade dies stellt für viele Finanzleute eine Herausforderung dar. Denn klassischerweise liegt ihre größte Kompetenz in der Analyse des Zahlenwerks. Sie müssen heute aber auch lernen, ihre Erkenntnisse verständlich, prägnant und mit einer gewissen Freude an Rhetorik zu präsentieren. Wir alle wissen, dass die Art und Weise, wie Informationen kommuniziert werden, entscheidenden Einfluss darauf hat, wie und was der Adressat davon wahrnimmt. Das heißt: Zwar ist nichts überzeugender als gute Zahlen, doch wer sie nicht deutlich mitteilt oder sie gar in einem Wust weiterer Zahlen, Charts oder umständlichen Wortkaskaden versteckt, wird nicht wirklich überzeugen können. Job-Rotation erwünschtMitarbeiter der Finanzorganisation müssen heute daher Informationen, Daten und Zahlen effektiv analysieren, zielgerichtet aufbereiten und erklären können. Und wie in allen kommunikativen Berufen geht es hier nicht um die Menge, sondern um die Relevanz der Information. Nur mit inhaltlicher Qualität und mit Klarheit in der Kommunikation kann erfolgreiches Business Partnering gelingen. Darüber hinaus müssen die Führungskräfte in der Lage sein, aus den Analysen und Erkenntnissen überzeugende Konzepte und Handlungsanweisungen abzuleiten und im Unternehmen in geeigneter Weise in notwendige Veränderungen und Fortschritte umzusetzen.Es liegt in der Hand eines jeden Unternehmens, diesen Wandel im Finanzsektor zu unterstützen. Bei Henkel haben wir den Finance Campus, ein spezielles Trainings- und Fortbildungsprogramm für Mitarbeiter des Finanzbereichs, in dem vor allem auch Fähigkeiten wie Präsentations- und Kommunikationstechniken trainiert werden. Auch der regelmäßige Austausch mit den operativen Unternehmensbereichen ist wichtig. Deshalb fördern wir in unserem Konzern sehr stark Job-Rotationen von Mitarbeitern der Finanzorganisation in die unterschiedlichen Bereiche des Unternehmens und umgekehrt. So entwickeln wir ein umfassendes Verständnis für die Belange der operativen Einheiten. Gleichzeitig ist es die Voraussetzung, um als strategischer Partner von den Kollegen in den operativen Bereichen akzeptiert zu werden.Die Anforderungen an Finanzexperten in Konzernen sind hoch – doch ihre beruflichen Entfaltungsmöglichkeiten sind enorm gestiegen. Wer es versteht, strategische Akzente zu setzen und unternehmerische Verantwortung zu tragen, hat nicht nur Aufstiegschancen innerhalb des Finanzbereichs, sondern im gesamten Konzern.—-Der Autor ist Finanzvorstand der Henkel AG & Co KGaA. In dieser Rubrik veröffentlichen wir Kommentare von führenden Vertretern aus der Wirtschafts- und Finanzwelt, aus Politik und Wissenschaft.——–Von Lothar Steinebach——-Der Finanzchef von heute agiert auf Augenhöhe mit dem CEO. Er muss vor allem gut kommunizieren können.