Talfahrt im Euroraum verlangsamt sich
Talfahrt im Euroraum verlangsamt sich
Vor allem die Schwergewichte bremsen – Rezessionswahrscheinlichkeit für Deutschland steigt
ba Frankfurt
Die Euro-Wirtschaft wird von den beiden Schwergewichten Deutschland und Frankreich in die Rezession geschoben. Auch wenn sich die Talfahrt im November etwas verlangsamt hat, erwarten Ökonomen, dass die Wirtschaft im gemeinsamen Währungsraum nicht nur im dritten, sondern auch im laufenden vierten Quartal schrumpft. Damit wäre die Definition einer technischen Rezession erfüllt. Dies schürt Erwartungen, dass die Europäische Zentralbank (EZB) doch früher als bislang erwartet die Zinszügel lockert – dem steht allerdings der immer noch recht hohe Preisdruck entgegen.
Breite Basis
Der Einkaufsmanagerindex (PMI) für die Privatwirtschaft – also Industrie und Dienstleister zusammen – legte im November um 0,6 auf 47,1 Punkte zu. Das Stimmungsbarometer signalisiert mit einem Stand unterhalb von 50 Punkten Wachstumseinbußen – zum sechsten Mal in Folge nun. Dabei verbesserte sich die Stimmung sowohl in der Industrie als auch bei den Dienstleistern.
"Man hat den Eindruck, dass die Eurozonen-Wirtschaft immer tiefer im Schlamm versinkt", kommentierte Cyrus de la Rubia, Chefvolkswirt des S&P-Partners Hamburg Commercial Bank (HCOB). Bereits im dritten Quartal war das Bruttoinlandsprodukt der 20 Länder des gemeinsamen Währungsraums um 0,1% gesunken. Die vorläufigen PMI-Daten lassen nun auf einen Rückgang um etwa 0,2% bis 0,3% schließen, berechnen Bankvolkswirte. "Die Rezession kommt nicht überraschend", schreibt Commerzbank-Volkswirt Christoph Weil. Denn seit Mitte 2022 hat die EZB ihre Leitzinsen um 450 Basispunkte angehoben, "die inzwischen ihre volle Bremswirkung auf die Konjunktur entfalten". Zugleich kommen von der Außenwirtschaft kaum Impulse, da neben der EZB auch alle anderen westlichen Notenbanken die Zinsen massiv erhöht haben.
Dass die Eurozone nach wie vor im rezessiven Bereich steckt, führt S&P Global in erster Linie auf den Mangel an Neuaufträgen zurück, auch wenn das sechste Auftragsminus in Folge "diesmal weniger gravierend" ausfiel. In Verbindung mit den leicht verbesserten Aussichten für die Industrie binnen Jahresfrist "könnte das ein Hoffnungsschimmer für das kommende Jahr sein", betonte de la Rubia. Das Exportneugeschäft ist hingegen erneut deutlich gesunken und die Auftragsbestände wurden mangels Nachschub fast genauso stark abgebaut wie im Oktober. Und auch wenn der Jobmarkt bislang sehr resilient war, deuten die PMI-Daten auf steigende Arbeitslosigkeit hin.
Leichter Vorteil für Deutschland
Wie schon in den vergangenen Monaten bremsten vor allem die beiden größten Volkswirtschaften, wobei in Frankreich auch das von Insee erhobene Geschäftsklima um 1 auf 97 Punkte gefallen ist. Sie befänden sich "aktuell im Würgegriff einer beträchtlichen Wirtschaftsschwäche, mit einem leichten Vorteil für Deutschland", analysiert de la Rubia. Während der PMI für Frankreich um 0,1 auf 44,5 gefallen ist, stieg das deutsche Pendant um 1,2 auf 47,1 Zähler. Deutschland stehe jedoch vor der Herausforderung, mit dem jüngsten Urteil des Bundesverfassungsgerichts umzugehen, mahnte de la Rubia. Mit dem Urteil könnten öffentliche Investitionen erschwert werden und "es besteht daher das Risiko, dass Deutschland 2024 abermals zurückfällt“.
Die Wahrscheinlichkeit, dass die hiesige Wirtschaft in den kommenden drei Monaten eine Rezession durchläuft, ist indes "auf bereits hohem Niveau leicht gestiegen". Dies zeigt der Konjunkturindikator des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK). Die Rezessionswahrscheinlichkeit liegt nun bei 75,9%, im Oktober waren es 73%. Ursächlich seien die Rückgänge der Produktion in Industrie und Bau.
Industrieflaute "besonders hartnäckig"
Dass die Flaute in der Industrie "weiter besonders hartnäckig ist", würden Produktionsdaten aus dem Dienstleistungssektor unterstreichen, die das IMK erstmals testweise im Indikator berücksichtigt hat. Würden diese voll berücksichtigt, stünde die gesamtwirtschaftliche Konjunkturampel für die kommenden drei Monate „nur“ auf „gelb-rot“ statt auf "rot", hieß es weiter. Allerdings seien diese Daten, die Statistisches Bundesamt und Bundesbank erst seit kurzem veröffentlichen, bislang besonders revisionsanfällig.
„In der aktuellen Situation ist es umso wichtiger, die Konjunktur nicht mit zusätzlichen Sparmaßnahmen zu destabilisieren“, betonte Sebastian Dullien, der wissenschaftliche Direktor des IMK. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts 2024 wichtige Transformationsausgaben zu kürzen, wie es derzeit im Raum steht, "sollte unbedingt unterbleiben", mahnt Dullien. Stattdessen solle die Bundesregierung erneut die Notlage nach den Regeln der Schuldenbremse erklären, um nicht kommendes Jahr zu einer massiv bremsenden Finanzpolitik gezwungen zu sein.