Tauben und Falken ringen um EZB-Zinsen
Der EZB-Rat hat die umstrittenen Anleihekäufe Ende 2018 auslaufen lassen. Die große Frage für 2019 ist nun, ob eine erste Zinserhöhung folgt. Das Problem: Der Konjunkturausblick hat sich eingetrübt. Aber was machen die Notenbanker daraus? Das zweite große Thema 2019: der personelle Umbau im EZB-Direktorium.Von Mark Schrörs, FrankfurtTut sie es – oder tut sie es nicht? Mit Blick auf die Europäische Zentralbank (EZB) dreht sich dieser Tage fast alles um die Frage, ob sie ihre rekordniedrigen Leitzinsen 2019 anhebt oder nicht. Es wäre die erste Zinsanhebung seit jenen zweien im April und Juli 2011, die heute vielen Experten und selbst einigen Notenbankern als Fehler gelten – weil inmitten der Euro-Krise erfolgt. Seitdem kannten die Zinsen nur eine Richtung – nach unten. Der Leitzins liegt seit März 2016 bei 0 %, der Einlagensatz gar unter null, bei -0,4 %. Vorsichtige NormalisierungMit einer Zinsanhebung würde die EZB einen weiteren Schritt machen auf ihrem Weg einer vorsichtigen Normalisierung ihrer ultralockeren Geldpolitik. Zum Jahresende 2018 hat sie bereits ihre vor allem in Deutschland heftig kritisierten Anleihekäufe (Quantitative Easing, QE) auslaufen lassen. Seit März 2015 hatte das Eurosystem für 2,65 Bill. Euro Wertpapiere, vor allem Staatsanleihen, gekauft. Das sollte die Wirtschaft und die zeitweise weit unter Ziel liegende Inflation ankurbeln. Die Bilanz von QE ist dabei umstritten (vgl. BZ vom 14.12.2018).Zwar reinvestiert das Eurosystem nun Gelder aus auslaufenden QE-Papieren auf absehbare Zeit weiter, womöglich gar bis ins Jahr 2021 hinein. Das soll weiter für eine geldpolitische Unterstützung sorgen, und allein im Jahr 2019 belaufen sich die Reinvestitionen auf rund 202,6 Mrd. Euro. Trotzdem aber ist das Ende zumindest neuer Nettokäufe ein erster Schritt Richtung Normalisierung. Ob 2019 aber der nächste Schritt in Form einer Zinserhöhung kommt, scheint derzeit äußerst fraglich.Der Zinsausblick des EZB-Rats (Forward Guidance) besagt aktuell, dass die Leitzinsen “mindestens über den Sommer 2019” nicht angetastet werden sollen. Als diese Formulierung im Juni 2018 zum ersten Mal eingeführt wurde, galt das als Signal, dass spätestens nach dem Sommer oder im Herbst eine erste Zinserhöhung kommt – ob im September, Oktober oder Dezember 2019. Viele Volkswirte gehen weiter davon aus – auch wenn einige nur eine marginale Anhebung des negativen Einlagensatzes prognostizieren. Viele Marktteilnehmer aber glauben gar nicht mehr an eine Zinserhöhung 2019.Der Grund für die veränderte Sicht ist insbesondere die Abschwächung der Euro-Wirtschaft, die deutlicher ausgefallen ist als erwartet. Im dritten Quartal wuchs sie nur noch um 0,2 % – nach jeweils 0,4 % in den ersten beiden Quartalen und sogar 0,7 % Ende 2017. Das gilt zwar auch vielen Notenbankern als Normalisierung nach dem Rekordjahr 2017. Zudem gibt es eine Reihe temporärer Effekte. Die erhoffte Gegenbewegung im vierten Quartal 2018 könnte aber ausgeblieben sein. Das hat größere Sorgen um den Aufschwung geschürt. In Deutschland scheint gar eine technische Rezession möglich – also zwei Minusquartale in Folge.Hinzu kommt, dass die externen Risiken zugenommen haben. Da ist vor allem der Handelsstreit zwischen den USA und China. Die Unsicherheit belastet schon jetzt die Stimmung und die Investitionen. Aber es gibt auch noch andere Risiken wie den Brexit und die erhöhte Volatilität an den Finanzmärkten. Und schließlich hat auch die Euro-Inflation deutlicher als gedacht nachgegeben und sich vom EZB-Ziel von unter, aber nahe 2 % entfernt. Im Dezember lag sie bei 1,6 % – nach zuvor 1,9 %. Das alles könnten Argumente sein, bei den Zinsen länger abzuwarten. Mitunter gibt es sogar schon Spekulationen über neue EZB-Hilfen im Kampf gegen die Konjunkturabkühlung.Dagegen scheint aber zugleich der Aufschwung in Euroland grundsätzlich intakt – wenn auch die Dynamik nachlässt. Die EZB selbst verweist immer wieder auf die positive Wechselwirkung zwischen Beschäftigung, Arbeitseinkommen und Konsum. Die EZB-Volkswirte haben Mitte Dezember für die Jahre 2019 bis 2021 Wachstumsraten von 1,7 %, 1,7 % und 1,5 % prognostiziert. Das gilt zwar als optimistisch. Nur wenige Beobachter sagen aktuell aber einen Absturz voraus. Zugleich schürt das anziehende Lohnwachstum Erwartungen auch der Euro-Hüter, dass der zugrundeliegende Preisdruck anzieht. Die Kerninflation ohne Energie und Lebensmittel lag zuletzt bei 1,0 %. Die EZB-Volkswirte prognostizieren für 2019 bis 2021 Inflationsraten von 1,6 %, 1,7 % und 1,8 %. Das würde dafür sprechen, die geldpolitische Normalisierung fortzusetzen – wenn auch graduell und vorsichtig. Gemischte SignaleDas gemischte Wachstums- und Inflationsbild spiegelt sich auch in unterschiedlichen Einschätzungen von EZB-Ratsmitgliedern wider. So hatten Ende 2018 einige signalisiert, dass die Zinsen noch länger nicht erhöht werden könnten als bislang gedacht. Nicht zuletzt EZB-Präsident Mario Draghi hatte davon gesprochen. Dagegen sagte EZB-Direktoriumsmitglied Sabine Lautenschläger jüngst, dass eine Zinserhöhung 2019 weiter möglich sei.Der EZB-Rat ist dabei dominiert von Notenbankern, die klar oder eher dem “Tauben”-Lager zugeordnet werden – wie jene Währungshüter genannt werden, die eher für eine lockerere Geldpolitik votieren und aktuell eher auf ein längeres Abwarten dringen dürften. So zumindest ist die verbreitete Einschätzung von EZB-Beobachtern und Finanzmarktakteuren (vgl. Grafik oben auf dieser Seite). Hinzu kommt, dass besonders einflussreiche Mitglieder des EZB-Direktoriums und die Zentralbankchefs Frankreichs, Italiens und Spaniens auf dieser Seite stehen. Das dürfte auch 2019 starken Einfluss auf die Debatte haben – und darauf, wie die Antwort auf die Frage ausfällt, ob die EZB die Zinsen erhöht oder nicht.