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Tauwetter zwischen Italien und Deutschland

Von Thesy Kness-Bastaroli, Mailand Börsen-Zeitung, 10.5.2016 Die Zeiten italienischer Frontalangriffe auf Deutschland sind vorerst passé. Beim jüngsten Treffen von Bundeskanzlerin Angela Merkel mit Italiens Regierungschef Matteo Renzi in Rom war...

Tauwetter zwischen Italien und Deutschland

Von Thesy Kness-Bastaroli, MailandDie Zeiten italienischer Frontalangriffe auf Deutschland sind vorerst passé. Beim jüngsten Treffen von Bundeskanzlerin Angela Merkel mit Italiens Regierungschef Matteo Renzi in Rom war das Klima überraschend freundlich. Die beiden betonten die gute Zusammenarbeit ihrer Länder und die gemeinsamen Interessen. In puncto Flüchtlingskrise herrscht Einigkeit. Es gehe nur gemeinsam. Merkel erklärte auch deutlich, was sie von unilateralen Aktionen, wie etwa jener der Österreicher am Brenner, hält – nämlich nichts. Das war Labsal für die öffentliche Meinung in Italien. “Merkel gegen Brenner-Barriere”, jubelten die Medien. Beim nächsten bilateralen Treffen, das in Maranello, Sitz des Luxusautoherstellers Ferrari, stattfinden soll, sollen weitere Details der Zusammenarbeit diskutiert werden. Heikle Fragen bleibenWegen der Verleihung des Aachener Karlspreises an Papst Franziskus waren am Donnerstag und Freitag nicht nur Merkel, sondern auch EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, Parlamentspräsident Martin Schulz und Ratspräsident Donald Tusk zu Gast in Rom. Renzi nutzte die Chance, um Italiens Standpunkt klarzumachen und für seine Vorschläge zu werben. Dabei wurde offensichtlich: Nicht in allen Punkten herrscht Einigkeit mit Berlin. Unterschiedliche Ansichten gibt es nicht nur bei der Finanzierung der Flüchtlingskrise. Der von Renzi vor zwei Wochen präsentierte Vorschlag “Migration Compact” sieht die Ausgabe von Euro-Bonds vor, was in Deutschland auf Ablehnung stößt, wie Merkel klar zu verstehen gab. Uneins ist man etwa auch bei den Sanktionen gegen Russland, dem italienischen Sparkurs und der Flexibilität in der Haushaltspolitik. Italien ist auch gegen die von Deutschland und den Niederlanden geforderte Obergrenze für Staatspapiere bei Banken. “Das würde zu Turbulenzen am Markt führen”, meinte der Präsident der Börsenaufsicht, Giuseppe Vegas, zu Wochenbeginn. Ein weiteres heißes Thema sind die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft von Trani (Süditalien) gegen die Deutsche Bank, die 2011 mit dem Verkauf von italienischen Staatspapieren Marktmanipulation betrieben haben soll. Dabei handelt es sich um jene Staatsanwaltschaft, die bereits beim Vorgehen gegen die US-Rating Agentur Moody’s, bei Ermittlungen gegen Banca d’Italia und die Börsenaufsicht Consob das Verfahren einstellen musste.Doch Italiens Regierungschef scheint entschlossen, bei den Verhandlungen mit Berlin leisere Töne anzuschlagen. Noch im März donnerte Renzi, dass die Austerity-Politik ein Relikt der Vergangenheit und die Maastricht-Vorgaben überholt seien und er es satt habe, von Deutschland wie ein Schüler angehalten zu werden, seine Aufgaben zu machen. Mit einer gewissen Größenfantasie schien er damals eine Allianz gegen Merkel schmieden zu wollen.Davon ist nun keine Rede mehr. Deutschland ist mit Abstand Italiens wichtigster Handelspartner mit einem Anteil an den Importen von 15,2 % und von 12,6 % der Exporte (2015). Italien steht für Deutschland als Importland an fünfter, als Exportland an sechster Stelle. Aber auch die Unternehmen finden Gefallen aneinander: Erst jüngst hat Heidelberg Cement Italiens größten Zementhersteller Italcementi übernommen, der Kaffeemaschinenhersteller De Longhi schielt auf WMF.Trotz des blühenden bilateralen Handels haben sich die Beziehungen zwischen den beiden Ländern spätestens seit den siebziger Jahren zugespitzt. Alte Vorurteile, die sich auf lang zurückliegende historische Ereignisse beziehen, sind wieder aufgetaucht. Der Historiker und Germanist, Gian Enrico Rusconi, hat diese Beziehungen nun neu beleuchtet: Italien sei für Deutschland nicht mehr die Wiege der Kultur, sondern vielmehr ein wirtschaftliches Problem. Der Turiner Professor warnt davor, dass sich hinter dem freundlichen Lächeln der Kanzlerin eine aggressive Strategie verberge. Laut Rusconi seien etwa Österreichs Brenner-Drohungen oder der jüngste Privatbesuch von Bundesbankpräsident Jens Weidmann in Rom nur mit Einwilligung der Bundeskanzlerin erfolgt. Dieser Besuch hat nicht so sehr wegen des Inhalts der Weidmann-Rede – der Aufforderung zum Schuldenabbau – in den italienischen Medien Aufsehen erregt. Zorn erweckte sein persönlicher Angriff auf Italiens Finanzminister Pier Carlo Padoan, der angeblich eine falsche Strategie verfolgt.Rusconi gibt zu, dass Italien in Deutschland das Image der Unzuverlässigkeit habe. Zweifellos kann sich Italien, das mehr als anderthalb Jahrhunderte nach seiner formellen Vereinigung immer noch zweigeteilt ist, in keiner Hinsicht mit den stärkeren nördlich gelegenen Staaten der EU messen. Italien steckt in einer Krise, die nicht nur eine wirtschaftliche, sondern auch eine kulturelle und soziopolitische ist. Die Erste, 1946 begründete Republik basierte auf den Werten von Antifaschismus und Widerstand. Die Zweite, in den neunziger Jahren entstandene, fußte auf der prinzipienlosen Antipolitik des früheren Regierungschefs Silvio Berlusconi. Dagegen will Renzi ankämpfen. Mit Reformen punktenDa seine lauten Worte in der EU wenig Erfolg hatten, versucht er nun mit Vorschlägen wie etwa den Migration Compact zu punkten. Vor allem aber mit Reformen. Bis Herbst soll nun eine neuerliche Pensionsreform verabschiedet werden. Und im Herbst steht auch das Referendum zur Verfassungsänderung bevor: Der Regierung ist es gelungen, den Senat, ohne dessen Zustimmung bisher kein Gesetz in Kraft treten konnte, in eine fast nur noch mit regionalen Angelegenheiten befasste Länderkammer umzuwandeln. Dies bedeutet nicht nur Kosteneinsparungen, sondern auch eine Beschleunigung beim Verabschieden von Gesetzen. Renzi hat den Ausgang des Referendums mit seiner politischen Zukunft geknüpft. Laut Meinungsumfragen ist im Zustimmungsfall mit mehr politischer Stabilität und damit einer verbesserten Basis für Wachstum und für den Schuldenabbau zu rechnen. Sollten das Referendum erfolglos sein, steht Italien einmal mehr vor einer politischen Krise.