Satyam Panday

„Teilweise besser aufgestellt als 2015“

Der Experte der Ratingagentur S&P Global Ratings sieht die Schwellenländer in einer besseren Ausgangslage als bei früheren Zinswenden in den USA. Eine Region bereitet ihm jedoch Sorgen.

„Teilweise besser aufgestellt als 2015“

Stefan Reccius.

Herr Panday, die Ankündigung der US-Notenbank Fed, die Geldpolitik zu straffen, schickte 2013 Schockwellen durch die Kapitalmärkte der Schwellenländer. Befürchten Sie nun eine Wiederholung, ein Taper Tantrum 2.0?

Ende Juli 2021 signalisierte die Fed, im Laufe des Jahres mit der Verringerung des Volumens ihrer Anleihekäufe zu beginnen. Seitdem haben sich die Zinssätze und Wechselkurse in den bedeutenden Schwellenländern in weiten Teilen an die Änderungen des geldpolitischen Kurses der USA angepasst. Diese Anpassung ist relativ geordnet und allmählich verlaufen. Eine Erklärung für diesen Unterschied in den Marktreaktionen im Vergleich zu 2013 ist, dass die Ankündigung der Fed diesmal den Markterwartungen entsprach. Eine weitere Erklärung ist die disziplinierte, proaktive Geldpolitik in den Schwellenländern. Generell hat sich die Forward Guidance der Zentralbanken in den letzten Straffungszyklen verbessert. Dies verringert die Wahrscheinlichkeit (und das Ausmaß) künftiger destabilisierender marktbezogener Anpassungen in den Schwellenländern. Dennoch wird die Sorge vor einem Taper Tantrum 2.0 in den nächsten zwei Jahren im Vordergrund stehen, vor allem wenn sich abzeichnet, dass die Fed die Geldpolitik schneller straffen wird, als sie derzeit prognostiziert.

Befinden sich die Schwellenländer auch makroökonomisch in einer besseren Lage als 2013 und 2015, als die Fed begann, die Zinsen tatsächlich zu erhöhen?

Mit Ausnahme der Haushalts- und Verschuldungsdynamik sind sie tendenziell gleich gut oder sogar besser aufgestellt als 2015. Der Schock des Taper Tantrum 2013 war auf die geringen Devisenreserven und die hohe Fremdwährungsverschuldung zurückzuführen. Seitdem haben viele Länder ihre Außenhandelsbilanzen verbessert und sind viel weniger anfällig für das Tapering der Federal Reserve und Zinserhöhungen.

Welche Rolle spielen die gestiegenen Devisenreserven?

Womöglich sind sie ein besserer Gradmesser für die Fähigkeit, sich vor Instabilität aufgrund von Kapitalverlagerungen zu schützen. Der frühere argentinische Vizefinanzminister Pablo Guidotti und Ex-Fed-Chef Alan Greenspan haben einen Maßstab für die Höhe der Währungsreserven in Zusammenhang mit der kurzfristigen Verschuldung in Fremdwährungen und dem Leistungsbilanzdefizit entwickelt. Nach diesem Maßstab liegen die Devisenreserven in der Türkei, Chile, Argentinien und Ko­lumbien unter einer Schwelle, die als angemessen gilt.

Neben der Türkei gelten Brasilien, Indien, Indonesien und Südafrika seit 2013 als „fragile fünf“. Haben sich die Dinge dort aus Sicht der Finanzmärkte verbessert?

Mit Ausnahme der Türkei verfügen diese Länder heute über höhere Zentralbankreserven, haben geringere Fremdwährungsschulden und kleinere Leistungsbilanzdefizite. Das deutet darauf hin, dass ihre Bilanzen in einer viel besseren Verfassung sind als 2013. Andererseits werden länderspezifische Faktoren eine Schlüsselrolle bei der Anfälligkeit für höhere US-Zinssätze spielen. Ein Beispiel ist Brasilien. Zwar hat sich die außenwirtschaftliche Position Brasiliens verbessert, doch das Ausmaß seiner fiskalischen Verschlechterung macht das Land zu einem der anfälligsten Schwellenländer. Die Wahl im Oktober könnte zu einer Spaltung des Landes führen. Das hat den Druck auf die Regierung erhöht, die Ausgaben für befristete staatliche Hilfsprogramme zu erhöhen, um ihre Popularität wiederherzustellen.

Und der notorische Problemfall Argentinien? Eine Einigung mit dem IWF über Schulden von 40 Mrd. Dollar ist in der Schwebe.

In Argentinien gibt es sowohl in der Politik als auch in der Öffentlichkeit erheblichen Widerstand gegen das Abkommen, so dass es alles andere als sicher ist, dass es letztendlich zu einer Einigung kommen wird. Eine zentrale und politisch besonders umstrittene Bedingung ist die Behebung der Haushaltsungleichgewichte. Dazu gehört auch die Senkung der Energiesubventionen – in einer Zeit hoher Inflation und hoher Energiepreise. Ob mit oder ohne Abkommen, die argentinische Wirtschaft wird anfällig für starke Schwankungen bleiben aufgrund ihrer makroökonomischen Ungleichgewichte, die nicht nur fiskalischer Natur sind, sondern auch mit dem streng gehandhabten Wechselkurs zusammenhängen. Das hat die Reserven aufgezehrt.

Staatsverschuldung und Inflationsraten sind überall stark gestiegen. Sind diese Risiken beherrschbar oder könnten sie außer Kontrolle geraten?

Nach rekordhohen Konjunkturprogrammen ist der Druck in den meisten Ländern hoch, die Ausgaben überdurchschnittlich zu halten, weil die Pandemie weiter auf Haushalten und Unternehmen lastet. Die gute Nachricht ist, dass in den meisten Schwellenländern der Anteil der auf Fremdwährungen lautenden Staatsschulden zurückgegangen ist. Unter den wenigen Ausnahmen stechen Chile, Kolumbien und die Türkei hervor. Die anhaltend niedrigen langfristigen US-Renditen haben dazu beigetragen, die langfristigen Finanzierungskosten für Schwellenländer in Schach zu halten. Sollte sich dies ändern, würde es wahrscheinlich zu abrupteren Anpassungen kommen. Das vergleichsweise geringe Inflationsgefälle zu den USA verringert in der Regel den Aufwärtsdruck auf die Zinsen der Schwellenländer. Sollte sich die US-Inflation schneller normalisieren, könnte sich das ändern.

Haben sich die Risiken während der Pandemie anderswo erhöht? Welche Länder stufen Sie noch als besonders anfällig ein?

Die Schwellenländer in Lateinamerika stehen vor einem schwierigen Kompromiss: Die Politik muss sich auf einem schmalen Grat zwischen unsicheren Inflationsaussichten und stark nachlassenden Wachstumsaussichten bewegen, während die Be­schäftigung immer noch deutlich unter dem Niveau vor der Pandemie liegt.

Laut Bankenverband IIF haben Anleger zuletzt deutlich mehr Geld aus Schwellenländern abgezogen. Sollte dies die Alarmglocken in Bezug auf Marktturbulenzen läuten?

Die Portfoliozuflüsse in die Schwellenländer haben sich zwar deutlich verlangsamt, doch scheint sich keine Phase größerer Abflüsse abzuzeichnen. Die Anstiege der Renditen von auf Fremdwährungen lautenden Anleihen und der Zinsabstände (Spreads) sind kein Anzeichen für einen massiven Ausverkauf.

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