DER BREXIT-COUNTDOWN BEGINNT

Teure Scheidung

Brüssel verlangt von London 60 Milliarden Euro für den Brexit, doch für was eigentlich?

Teure Scheidung

Von Julia Wacket, FrankfurtEs war eines der Hauptversprechen der Brexit-Befürworter während ihrer Kampagne: Keine weiteren Zahlungen an die EU! Doch Brüssel sieht das anders und stellt dem Land deswegen eine saftige Rechnung aus – 60 Mrd. Euro an finanziellen Verpflichtungen habe Großbritannien vor dem EU-Austritt noch zu begleichen, heißt es. Dabei handelt es sich vor allem um ausstehende Budgetgelder, Pensionsverpflichtungen sowie zugesagte Fördergelder. Die Verpflichtungen gelten als großer Streitpunkt in den ab morgen beginnenden Scheidungsverhandlungen zwischen London und Brüssel.Bisher haben May, Johnson und Co. das Thema “divorce bill” in Großbritannien eher totgeschwiegen. Sie wissen um dessen Brisanz, haben sie den Brexit-Wählern doch versprochen, das Geld für EU-Beiträge wieder national zu investieren. Man erinnere sich an Nigel Farages Versprechen, stattdessen 350 Mill. Pfund pro Woche in den Gesundheitsdienst NHS zu investieren. Zweitgrößter NettozahlerGroßbritannien ist momentan zweitgrößter Nettozahler der EU. Normalerweise zahlt das Land jedes Jahr rund 5 Mrd. Euro an die EU. Nun geht es also um Kosten, die zwölfmal so hoch sind wie die vergangenen Zahlungen an Brüssel.Die Summe 60 Mrd. Euro stammt aus einer Studie der Denkfabrik Centre for European Reform (CER) und basiert auf Zahlen der EU-Kommission. Aus drei Berechnungsmethoden, laut denen die “divorce bill” zwischen 25 und 73 Mrd. Euro liegen könnte, konzentrierte man sich auf die wahrscheinlichste.Der größte Teil der “divorce bill” besteht aus ausstehenden Haushaltsverpflichtungen. Dies sind einerseits Verpflichtungsermächtigungen aus der Vergangenheit (29,2 Mrd. Euro), nämlich EU-Ausgaben, die bereits bis 2019 geplant, aber noch nicht vollständig bezahlt wurden. Andererseits sind es zukünftige Ausgaben (17,4 Mrd. Euro), zu denen sich EU-Länder auch nach 2019 verpflichtet haben. Dies sind zum Beispiel Strukturfonds zur regionalen Entwicklung Osteuropas, Gelder für den Straßenbau oder für Arbeitslose. Dem CER zufolge wären zum Austritt der Briten im März 2019 nur 30 % der zugesprochenen Strukturfonds bereits bezahlt. Die osteuropäischen Staaten werden diese ausstehenden Gelder nicht missen wollen – die Briten sie aber sicher nicht zahlen wollen. Zudem gibt es noch andere EU-Ausgaben, auf die man sich verpflichtet hat, wie den Juncker-Investitionsfonds oder das Copernicus-Programm (5,2 Mrd. Euro).An zweiter Stelle stehen mit 9,6 Mrd. Euro “Eventualverbindlichkeiten”, wie etwa die Hilfskredite an Irland oder Portugal, die nur bei Nichtzurückzahlung fällig werden. Ein dritter wichtiger Posten sind die ausstehenden Pensionslasten für EU-Beamte, an denen der britische Anteil 7,7 Mrd. Euro beträgt. Neben all den Verbindlichkeiten gibt es auch eine EU-Vermögensseite der Rechnung, wie das Kommissionsgebäude oder die Rückflüsse aus den Strukturfonds, beziffert auf 11,7 Mrd. Euro. In der Summe kommt man auf eine Nettorechnung von 57,4 Mrd. Euro.All diese Posten dürften für heikle Diskussionen sorgen. Die EU-Kommission hat ihre Sicht der Dinge bereits in einem Vergleich dargelegt. Ihr Sprecher Margaritis Schinas sagte: “Es ist wie ein Besuch im Pub mit 27 Freunden, und du bestellst eine Runde Bier. Du kannst nicht gehen, wenn die Party noch läuft. Du musst trotzdem die Runde bezahlen, die du bestellt hast.” Es bleibt abzuwarten, ob und wie Großbritannien seine 27 Freunde überreden will, die georderten Getränke zu übernehmen.