LEITARTIKEL

The trend is no friend

Für Schatzkanzler Philip Hammond und Mark Carney, den Chef der Bank of England, hat das Pfund gerade rechtzeitig abgewertet. Der erneute Kursrutsch kommt wie gerufen, denn in Großbritannien hat man wenig Appetit darauf, den Leitzins unter die...

The trend is no friend

Für Schatzkanzler Philip Hammond und Mark Carney, den Chef der Bank of England, hat das Pfund gerade rechtzeitig abgewertet. Der erneute Kursrutsch kommt wie gerufen, denn in Großbritannien hat man wenig Appetit darauf, den Leitzins unter die Nulllinie rutschen zu lassen. Premierministerin Theresa May machte auf dem Parteitag der Konservativen in der vergangenen Woche keinen Hehl daraus, dass die geldpolitischen Notstandsmaßnahmen der Notenbank vielen potenziellen Wählern Nachteile gebracht haben.Viel eleganter ist es doch, die eigene Währung abwerten zu lassen, zumal man dafür immer anonyme Marktmächte verantwortlich machen kann. Man sollte also den Spruch eines Analysten, das Pfund sei nunmehr die offizielle Opposition zur Regierungspolitik, nicht allzu ernst nehmen. Britische Waren und Dienstleistungen werden billiger, was sich positiv auf den Export auswirkt. Londoner Immobilien werden für Käufer aus dem Ausland unter Renditegesichtspunkten wieder interessant. Mehr Touristen kommen auf die Insel und drehen dort nicht mehr jeden Penny zweimal um. Man muss nicht bis zur Aufgabe des Goldstandards 1931 zurückgehen, um historische Präzedenzfälle zu finden. Unter dem Labour-Premier Harold Wilson wurde 1967 um 14 % gegen den Dollar abgewertet. In der Finanzkrise 40 Jahre später zeigte sich allerdings, dass Märkte nicht ganz so mechanisch funktionieren. Das Pfund verlor zwar an Wert, den Exporten half das jedoch nicht viel.Das Land ist heute eine Importnation. Die Realeinkommen der privaten Haushalte, die mehr für chilenische Blaubeeren, französischen Käse oder deutsche Autos bezahlen müssen, schrumpfen. Dabei waren sie in Großbritannien gerade dabei, sich zu erholen. Für Unternehmen steigen die Kosten für in Dollar gehandelte Rohstoffe und importierte Zwischenprodukte. Das drückt auf die Margen. Britischen Touristen, die beim Geldwechsler am Flughafen weniger als 1 Euro für ihr Pfund bekommen, dürfte langsam mulmig werden.Carney ließ vor dem Brexit-Votum der Aufwertung des Pfund an den Finanzmärkten freien Lauf, um eine Zinserhöhung zu vermeiden. Sieht man sich seine jüngsten Äußerungen an, müsste viel passieren, um die Bank of England zu einer Intervention zur Stärkung des Pfund zu bewegen – zumal sich die britischen Fremdwährungsreserven in etwa auf Höhe der mexikanischen befinden. Um den Markt zu bewegen, müsste man heute weit mehr Geld in die Hand nehmen als noch vor zehn Jahren. Die chinesische Führung gab seit Sommer 2014 das Dreifache der gesamten britischen Reserven aus, um Abflüssen entgegenzutreten. Hammond hat darauf keine Lust und stimmte die Briten bereits auf turbulente Zeiten ein.Für manche Hedgefonds dürfte sich der Flash Crash in der vergangenen Woche gerechnet haben. Die Short-Positionen befanden sich dem Regulierer zufolge auf Rekordniveau. Gegen den Dollar notiert das Pfund mittlerweile weit unter dem Durchschnitt der vergangenen 30 Jahre. Seit Einführung des Euro bekam man für die Gemeinschaftswährung im Schnitt weniger britisches Geld als jetzt. Ob das Pfund weiter fallen wird, ist eine ganz andere Frage. Mit Blick auf die sogenannte Fundamental Equilibrium Exchange Rate ist das Pfund inzwischen deutlich unterbewertet. Aber vielleicht haben sich die wirtschaftlichen Aussichten ja inzwischen wirklich derart verschlechtert, dass der niedrigere Kurs gerechtfertigt ist.Hätte es das Brexit-Votum nicht gegeben, würden City-Größen vermutlich von Normalisierung oder einer gesunden Korrektur sprechen – so wie Carneys Vorgänger Mervyn King. Das Leistungsbilanzdefizit schrumpft, und selbst das Inflationsziel der Notenbank könnte in greifbare Nähe rücken.Die Finanzmärkte haben keine hellseherischen Fähigkeiten. Der Kurs wird derzeit in erster Linie von den Schlagzeilen zum nahenden EU-Austritt bestimmt und ist damit ein politischer Preis. May hat dafür gesorgt, dass sich viele von der Hoffnung auf eine halbwegs gütliche Einigung mit Resteuropa verabschiedet haben. The trend is no friend: Es muss ja nicht gleich eine Vereinbarung über den bedingungslosen Zugang Großbritanniens zum gemeinsamen Markt sein. Schon etwas bessere Konjunkturdaten könnten dafür sorgen, dass es zu einer Gegenbewegung kommt – verstärkt dadurch, dass sich die zahlreichen Leerverkäufer schnell eindecken müssen. Würden die Verlierer des Referendums aufhören, Trübsal zu blasen, könnte das wahre Wunder wirken.——–Von Andreas HippinHätte es das Brexit-Votum nicht gegeben, würden City-Größen mit Blick auf das Pfund wohl von Normalisierung oder einer gesunden Korrektur sprechen.——-