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Thunbergs Gretchenfrage

Bewusstsein für Klimaschutz nimmt zu - Verhalten ändert sich nur langsam

Thunbergs Gretchenfrage

Von Detlef Fechtner, FrankfurtAn Greta Thunberg scheiden sich die Geister. Ihre Direktheit und ihre Radikalität verschrecken die einen und begeistern die anderen. Daran aber, dass sie zu den Menschen des Jahres 2019 mit der größten Wirkungskraft auf die öffentlichen Debatten zählt, dürfte wohl kaum jemand Zweifel haben. Insofern ist es nur folgerichtig, dass das “Time Magazine” Thunberg zur “Person of the Year” ausrief – auch wenn US-Präsident Donald Trump ihre Wahl als “lächerlich” verspottete. Oder vielleicht ja gerade genau deswegen.Thunberg ist Klimaschutzaktivistin – und das im wahrsten Sinne des Wortes. Niemand hat durch sein Verhalten so aktiv Debatten über Klimawandel angestoßen wie die Schwedin, die in wenigen Tagen ihren 17. Geburtstag feiert. Mittlerweile dürfte der Slogan “Skolstrejk för klimatet” zu den außerhalb ihres Heimatlandes bekanntesten drei Worten der schwedischen Sprache zählen.Dass das Bewusstsein für Fragen des Umwelt- und Klimaschutzes auch in der deutschen Bevölkerung gestiegen ist, dafür gibt es belastbare Daten. So hat das Umweltbundesamt im Frühsommer 2019 die Ergebnisse einer Umfrage veröffentlicht, in der die Bundesbürger die “Probleme, denen sich unser Land gegenübersieht”, nach Wichtigkeit ordnen sollten. Lag Umwelt- und Klimaschutz vor zwei Jahren noch auf Platz 6, so rangierte es nun auf Platz 3. Noch deutlicher wird die Bedeutung, die dem Kampf gegen den Klimawandel beigemessen wird, wenn junge Menschen befragt werden. Für die 14- bis 19-Jährigen ist Umwelt- und Klimaschutz unter den Top-Themen, die die Politik herausfordern, unangefochtene Nummer 1.Freilich bedeuten diese generellen Einschätzungen der Befragten nicht, dass sie bereits ihr Konsumverhalten entsprechend angepasst haben. Die Studie des Umweltbundesamts zeigt nämlich zugleich, dass zwar “affektive” (“es beunruhigt mich”, “empört mich”) und “kognitive” (“wir müssen Wege finden”, “sollten bereit sein”) Einstellungen zum Klimaschutz hohe Zustimmung finden. Aber: “Umweltbewusste Verhaltensweisen sind weniger stark verbreitet.” FlugschamDie Untersuchung untermauert, was sich in anderen Analysen andeutet. So zeigt eine im Sommer 2019 veröffentlichte Umfrage des Bundesverbands der deutschen Luftverkehrswirtschaft, dass mehr als 40 % der Flugreisenden ein schlechtes Gewissen haben. Dafür gibt es sogar ein neues Wort: “Flugscham”.Zugleich aber war im abgelaufenen Jahr kein Rückgang der Buchungen von Fluggästen in Deutschland zu verzeichnen. Anders übrigens als in Thunbergs Heimatland Schweden. Dort meldete die frühere Staatsbahn Statens Järnvägar lokalen Medienberichten zufolge einen spürbaren Anstieg der Buchungen für innerschwedische Nachtzüge, während Flugbuchungen leicht zurückgingen.Auch was das Thema Nachhaltigkeit angeht, lässt sich beim Konsumverhalten etwa im Textilhandel noch keine Veränderung ablesen. Einer Befragung der Marktforscher von Appinio aus dem Jahr 2018 zufolge (aktuellere Zahlen liegen nicht vor) spielt das Thema faire Herstellung und Nachhaltigkeit nur eine nachgeordnete Rolle für 14- bis 34-jährige Käufer von Textilien – abgeschlagen weit hinter Aussehen, Preis, Qualität, Komfort, Marke und Material. Ganz im Gegenteil: Angesichts immer kürzerer Zyklen auf Seiten der Modeanbieter (Fast Fashion) ist die Zahl der Kleidungsstücke, die ein Bundesbürger pro Jahr kauft, nach Greenpeace-Berechnungen deutlich gewachsen – auf zuletzt 60 (in Worten: sechzig).Zwar gibt es zusehends Projekte der Aufwertung (Upcycling) statt nur der bloßen Wiederverwertung (Recycling) von Wertstoffen in der Mode. Allerdings haben Umhängetaschen aus alten Lkw-Planen oder Bikinis aus früheren Fischernetzen einen stolzen Preis. In den genannten zwei Fällen muss der Kunde mit dreistelligen Beträgen rechnen. Angesichts solcher Preise kann nicht überraschen, dass die Studie des Umweltbundesamts Diskrepanzen zwischen sozialen Schichten in Sachen klimafreundliches Verhalten identifiziert: “Bei Angehörigen des prekären Milieus (. . .) ist ihr Umweltverhalten im Alltag deutlich unterdurchschnittlich.” Denn für sie stünden letztlich Kostengesichtspunkte im Vordergrund.Was also die moderne Gretchenfrage angeht – “Nun sag, wie hast Du’s mit dem Klimaschutz” – dürfte es darauf in Deutschland zumindest keine eindeutige Antwort geben. Das Bewusstsein der Bevölkerung für die Bedeutung des Themas hat – nicht zuletzt durch Greta Thunberg – spürbar zugenommen. Ihr Verhalten ändern die Bundesbürger jedoch nur graduell und langsam.