Trump, Twitter und der Brief an seine Angstgegnerin
Dass er das Herz auf der Zunge trägt und gern ordentlich Dampf ablässt, das weiß man über US-Präsident Donald Trump spätestens seit einer folgenschweren Kombination historisch bedeutsamer Ereignisse: Im Jahr 2006 gründete der Tech-Unternehmer Jack Dorsey das soziale Medium “Twitter”, und zehn Jahre danach wählte eine Mehrheit der sogenannten Elektoren Donald J. Trump, der an Direktstimmen gemessen fast drei Millionen Stimmen weniger als die Demokratin Hillary Clinton erhalten hatte, zum 45. US-Präsidenten.Trump bedient sich des beliebten Mediums, welches oft irrtümlich als “Kurznachrichtendienst” bezeichnet wird, weil das ja bedeuten würde, dass jeder Tweet des Präsidenten eine faktische “Nachricht” darstellt, als seiner wichtigsten politischen Plattform. Dort verkündet der Präsident neue Gesetzesinitiativen, brüstet sich mit “historischen Abkommen”, die bestenfalls einen schwer einzuhaltenden Vorvertrag darstellen, und setzt frei erfundene Zahlen in die Welt.So etwa, als er nach seiner Amtseinführung im Januar 2017 behauptete, dass kein anderer Präsident bei der Inauguration ein so großes Publikum auf der Mall in Washington gehabt habe, jener riesigen Rasenfläche, die sich vom Lincoln-Denkmal bis zum Kapitolsgebäude erstreckt. Als Satellitenfotos dokumentierten, dass mehr als doppelt so viele Menschen zu Barack Obamas Inauguration erschienen waren, versuchte der neu gewählte Präsident, den National Park Service unter Druck zu setzen, um die Fotos aus dem Verkehr zu ziehen. Er benutzt Twitter aber auch, um politische Gegner zu diskreditieren und schlichtweg jeden, der nicht nach seiner Pfeife tanzt, persönlich zu beleidigen. Spitzen der eigenen Geheimdienste beschimpfte Trump als “Abschaum”, weil sie von Fakten untermauert weiterhin darauf bestanden, dass Russland versucht habe, die US-Wahl zu manipulieren, dies 2020 erneut tun werde und die Manipulation eine Gefahr für die nationale Sicherheit darstelle.Seit Beginn des Impeachment-Verfahrens ist aber die mächtige Oppositionschefin Nancy Pelosi die beliebteste Zielscheibe der trumpschen Angriffe. Mehrfach hat der Präsident seine Angstgegnerin aus Kalifornien, die sich immerhin über drei Jahrzehnte lang auf dem glatten politischen Parkett in Washington hat behaupten können, unter anderem als “unfähige” und “inkompetente Politikerin” beschimpft. Anspielend auf ihr Alter – dabei ist der Präsident mit 73 gerade Mal sechs Jahre jünger – schrieb er auf Twitter, dass Pelosis “Zähne ausfallen” würden. *Im unmittelbaren Vorfeld der historischen Abstimmung überraschte Trump nun, indem er auf Twitter, wo die Zahl der Zeichen ja begrenzt ist, verzichtete und auf ein altes, bewährtes Medium zurückgriff: Er schrieb einen sechs Seiten langen Brief, der die Oppositionschefin ebenso wie das Amtsenthebungsverfahren geißelte. Das Verfahren im Repräsentantenhaus sei ein “versuchter Putsch” und eine “Perversion der Justiz” wetterte der Präsident.Trump schöpfte aus dem Vollen und brachte so ziemlich jedes negative Attribut zum Einsatz, das er aus seinem Wortschatz ausgraben konnte: Das Impeachment-Verfahren nannte er “schlimm”, “ungültig”, “illegal”, “gefährlich”, “unsinnig” und “bodenlos”, hieß es unter anderem. Auch durfte es nicht an Attacken gegen Pelosi fehlen. Die gläubige Katholikin sei eine Lügnerin, wenn sie behaupte, “für mich zu beten”. Dies könne nur dann stimmen, wenn sie für Schlechtes bete, mutmaßte der sichtlich aufgebrachte Trump.Wie gehabt blieb die Demokratin gelassen. Der Brief sei “lächerlich”, ja sogar “krank”, bediente sich Pelosi einer der bevorzugten Adjektive des Präsidenten, wenn er sich über Kritiker mokiert. Besonders amüsant fand sie offenbar die Tatsache, dass der Präsident ihr vorwarf, “das hässliche Wort Impeachment zu entwerten”, und den Demokraten, dass “Ihr diejenigen seid, die unsere Demokratie untergraben, die Justiz behindern und unserer Republik Schmerz und Leiden zufügten”. Pelosi reagierte mit einem Hinweis für ihre eigenen Parteifreunde: Nach dem Amtsenthebungsbeschluss sollten sie weder angeben noch Schadenfreude demonstrieren.