NOTIERT IN WASHINGTON

Trumps Republikaner und ihre "alternativen Fakten"

Kellyanne Conway, eine der engsten Beraterinnen des amerikanischen Präsidenten Donald Trump, sprach kurz nach dessen Amtseinführung im Januar 2017 einen Satz, der kennzeichnend ist für den polarisierenden Regierungsstil ihres Chefs. Darauf...

Trumps Republikaner und ihre "alternativen Fakten"

Kellyanne Conway, eine der engsten Beraterinnen des amerikanischen Präsidenten Donald Trump, sprach kurz nach dessen Amtseinführung im Januar 2017 einen Satz, der kennzeichnend ist für den polarisierenden Regierungsstil ihres Chefs. Darauf angesprochen, dass Satellitenbilder von Trumps Inauguration unwiderlegbar beweisen, dass dessen Vereidigung nicht von mehr Menschen besucht wurde als jede andere in der Geschichte, meinte sie: “Dann müssen wir uns halt alternative Fakten einfallen lassen.” In den Wochen nach Conways aufsehenerregendem Fernsehinterview stiegen die Verkaufszahlen des George-Orwell-Romans “1984” um das Hundertfache, Millionen von Amerikanern mögen schon geahnt haben, mit welcher Fülle von Unwahrheiten sie während der Amtszeit ihres neuen Präsidenten zugeschüttet werden würden. So behauptet die Hauptstadtzeitung “Washington Post”, die seit Beginn der Trump-Administration eine exakte Statistik darüber führt, dass der Präsident mehr als 20 000 Mal gelogen und irreführende Aussagen gemacht hat.Diese Woche kündigte Conway an, dass sie von ihrer Position im Weißen Haus deswegen zurücktreten werde, weil ihr der Stress offenbar ein wenig über den Kopf gewachsen war und sie sich wichtigeren Aufgaben widmen wolle. “Weniger Drama, mehr Mama” sei ihre neue Priorität, sagte die vierfache Mutter, die im Februar vorletzten Jahres den mittlerweile wegen Betrugs verhafteten Stephen Bannon als “Senior Counselor” des Präsidenten abgelöst hatte.Auch ohne die konservative Aktivistin, die vor seiner Präsidentschaft übrigens eine scharfe Kritikerin des Immobilienunternehmers war, leben die alternativen Fakten in Trumps Welt aber weiter. Demonstrativ zur Schau gestellt wurden diese ein weiteres Mal beim republikanischen Parteikonvent, der bisher nichts anderes als einen Jahrmarkt der Eitelkeiten für einen Präsidenten war, dem seine Partei zu Füßen liegt.Dass Trumps Familienmitglieder sowie Kabinettsmitglieder und Kongressabgeordnete, die wissen, dass ihnen der Präsident in der Sekunde in den Rücken fallen würde, in dem sie ihm nicht bedingungslose Loyalität erweisen, ihm huldigen würden, war anders nicht zu erwarten. Alle, ob die Kinder Don Junior, Eric und Tiffany oder Außenminister Mike Pompeo, der von Israel aus die angeblich erfolgreichen Bemühungen des Präsidenten um Frieden im Nahen Osten lobte, trugen dabei ihre eigene Version “alternativer Fakten” vor.Sie zeichneten ein düsteres Bild einer Präsidentschaft unter Joe Biden. Der demokratische Spitzenkandidat würde der Polizei die Finanzierung entziehen, sagten sie, was objektiv falsch ist und von dem früheren Vizepräsidenten Biden ebenso häufig wie vehement bestritten wurde. Unter dem “Sozialisten Biden” und seinen Verbündeten unter den “radikalen Linken” würde die weltgrößte Demokratie in Kommunismus und Anarchie ausarten, gaben die Trump-Vertrauten zum Besten. Das alles verwundert nicht. Verblüffend ist hingegen das Unvermögen des Präsidenten und der Republikaner, über fünf Monate nach dem Ausbruch der Coronavirus-Pandemie in den USA die nüchterne Realität zu akzeptieren. So hat die Pandemie bisher über 178 000 Todesopfer gefordert. Etwa 5,8 Millionen Menschen wurden mit dem Virus infiziert, womit die USA fast ein Viertel aller weltweiten Fälle stellen.Doch was machen die Republikaner? Mit der Ausnahme von First Lady Melania, die mehr oder weniger einstudiertes Mitgefühl zur Schau trug, ignorierten sie schlichtweg die schlimmste Gesundheitskrise seit mehr als 100 Jahren. Sie sprachen von der Pandemie in der Vergangenheitsform, als wäre diese längst bewältigt, was den steigenden Infektionszahlen eindeutig widerspricht.Dasselbe gilt für die Rezession und weiter schwächelnde US-Wirtschaft, die sie schönzureden versuchten. Der politischen Basis des Präsidenten mögen die Republikaner mit diesen alternativen Fakten imponieren. Doch diese macht weniger als 40 % aller US-Wähler aus und dürfte, wenn bei der Wahl alles mit rechten Dingen zugeht, nicht ausreichen, um dem Präsidenten weitere vier Jahre im Oval Office zu bescheren.