Tsai segelt auf Sympathiewelle
BZ – Taiwans Präsidentin Tsai Ing-wen (63) hätte sich einen schwungvolleren Antritt zu einer zweiten vierjährigen Amtszeit an der Spitze der autonom regierten, aber völkerrechtlich an China gekoppelten Insel sicherlich nicht träumen können. Binnen weniger Monate ist aus einer in der eigenen Inseldemokratie stark umstrittenen Politikerin eine Art Liebling des Volkes geworden, die nun ungewöhnlich breite Unterstützung genießt. Drei Faktoren haben dabei eine wichtige Rolle gespielt.Zum einen hat sich Tsai große Sympathien dadurch erworben, dass sie mit resoluten Maßnahmen die Verbreitung der Corona-Epidemie in Taiwan auf geringem Niveau halten konnte, ohne die Wirtschaft allzu sehr in Mitleidenschaft zu ziehen. Zum Zweiten haben die monatelangen Unruhen in der chinesischen Sonderverwaltungszone Hongkong und Pekinger Versuche, den Autonomiestatus Hongkongs aufzuweichen, auf das taiwanesische Wahlpublikum Eindruck gemacht und Tsai Zulauf gebracht.Ein dritter Faktor sind die durch die Corona-Epidemie noch verstärkten Streitigkeiten an der handels-, industrie- und geopolitischen Front zwischen China und den USA. Dies animiert die auf Entkoppelung zum Reich der Mitte geeichte Regierung in Washington dazu, Taiwan mit Unterstützungszusagen auf einen Distanzkurs zu China einzuschwören. Damit erhält auch die Linie von Tsai und ihrer Demokratischen Fortschrittspartei in der sogenannten Ein-China-Frage größere Durchschlagskraft.Tsai kann Rückendeckung gut gebrauchen, denn die kommenden vier Jahre dürften neue Zerreißproben im Beziehungsgeflecht mit Peking bringen. Dies zeigen allein die Reaktionen auf ihre Antrittsrede, in der sie den Status quo in der Ein-China-Frage zwar nicht in Frage stellte, wohl aber zu erkennen gab, dass sie Taiwan als einen souveränen Staat ansieht, dem auch eine direkte Vertretung in internationalen Organisationen gebührt. China antwortet mit immer härterer Tonlage, dass man jedwede Form taiwanesischer Unabhängigkeitsbestrebungen um jeden Preis verhindern werde.Besonders wütend ist Chinas Regierung auf US-Außenminister Michael Pompeo, der Tsai offiziell zur neuen Amtsperiode beglückwünschte und Taiwan als verlässlichen Partner der USA bezeichnet hatte. Peking versteht dies als extremen Affront und erklärt, dass Pompeos Geste Frieden und Stabilität in der taiwanesischen Meerenge gefährde und Gegenmaßnahmen auslösen werde.Tsai muss nun gut abwägen, inwieweit sie den Schmusekurs zwischen Taiwan und den USA weiter vorantreiben will, ohne im schwelenden Disput mit China ein Pulverfass aufzumachen.