LEITARTIKEL

Tsipras' Urenkel

Auf die Frage, ob am nächsten Dienstag endlich eine Einigung zwischen Griechenland und seinen Kapitalgebern gelingt, damit neue Hilfsmilliarden fließen können, antworten Brüsseler Diplomaten derzeit im Tone von Radio Eriwan: Im Prinzip ja....

Tsipras' Urenkel

Auf die Frage, ob am nächsten Dienstag endlich eine Einigung zwischen Griechenland und seinen Kapitalgebern gelingt, damit neue Hilfsmilliarden fließen können, antworten Brüsseler Diplomaten derzeit im Tone von Radio Eriwan: Im Prinzip ja. Schließlich haben alle ein Interesse, die Kuh vom Eis zu bringen. Denn sonst droht wieder so ein Krisensommer wie vor einem Jahr, als Hellas ganz nah am Abgrund stand.Griechenland würde eine unfreiwillige Wiederholung der Chaostage vom Vorjahr abermals wirtschaftlich zurückwerfen und politisch destabilisieren. Die Euro-Partner im Süden wären von jetzt auf gleich wieder in akuter Ansteckungsgefahr – ein Umstand, der nicht bloß Portugiesen und Zyprern den Angstschweiß auf die Stirn treten lassen würde, sondern auch Italienern und Franzosen. Selbst die Amerikaner haben ein Interesse an einem Griechenland-Deal, weil ihnen ein instabiles Europa nicht in den Kram passen kann. Außerdem hat natürlich jeder in Brüssel im Hinterkopf, dass die Briten in gut einem Monat über ihren Verbleib in der EU abstimmen werden. Da würde es den EU-Gegnern natürlich in die Hände spielen, wenn zeitgleich die Euro-Partner mal wieder nicht mit Griechenland zu Potte kämen – wenn also in den Wettbüros auf der Insel Quoten gestellt würden, ob erst der Brexit oder erst der Grexit kommt.Im Grunde spricht also alles für eine baldige Übereinkunft von EU-Kommission, Euro-Schirm, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds mit den Griechen. Wie gesagt: im Prinzip! Doch so einfach wie gedacht funktioniert das nicht. Schließlich haben alle Seiten eine ganze Reihe von roten Linien definiert. Und diese unverrückbaren Ansagen machen es – trotz allen guten Willens – so kompliziert zusammenzukommen. So hat eine Handvoll Euro-Länder geschworen, den IWF unbedingt an Bord haben zu wollen. Der Fonds wiederum scheint dazu nur bereit, falls die Europäer Griechenland bei den Schulden spürbar entgegenkommen. Aber dafür sind die Spielräume sehr eng, weil Schuldenschnitte oder Zinssubventionen ausgeschlossen wurden – und vieles andere ebenfalls so gut wie tabu ist, wenn die Euro-Regierungen dazu neue Mandate ihrer Parlamente benötigen. Denn kein Finanzminister geht in den aktuellen Hochzeiten des euroskeptischen Populismus gerne nach Hause und bittet um die Zustimmung der Abgeordneten für Schuldenerleichterungen gegenüber dem Dauerkrisenland Griechenland.So bleibt letztlich wenig anderes übrig, als die ohnehin schon langfristigen Schulden noch einmal deutlich zu strecken. Bereits unter den heutigen Konditionen mit tilgungsfreien Zeiten und durchschnittlichen Kreditlaufzeiten von 32,5 Jahren ist die Last der Rückzahlung auf Kinder und Enkel verlagert. Wenn mittlerweile ernsthaft über Fälligkeiten im Jahr 2080 verhandelt wird, dann geht die Überwälzung auf die nächste Generation sogar noch eine Runde weiter. Gut möglich, dass es die Urenkel von Premier Alexis Tsipras sein werden, die die letzten Zinszahlungen im Nachgang der derzeitigen Staatsschuldenkrise leisten müssen.Mancher mag sich durch diesen unglaublichen Zeithorizont in seinem (Vor-)Urteil bestätigt sehen, dass Griechenland seine Probleme nicht in den Griff und ohnehin nichts auf die Reihe bekommt – und dass es von Vornherein ein Fehler war, dem Land überhaupt Kredit zu gewähren. Aber das ist zu kurz gesprungen. Griechenland hat zuletzt eine viel härtere haushaltspolitische Sanierung hinter sich gebracht als die meisten anderen Euro-Partner. Das Land hat weitreichendere Arbeitsmarkt- und Rentenreformen beschlossen als viele seiner heutigen Kapitalgeber. Und das Land wird wohl in den nächsten Jahren deutlich schneller wachsen als der Euro-Schnitt. Aber wer ein Viertel seiner Wirtschaftskraft einbüßt, der braucht selbst bei dauerhaft robustem Wachstum allein mehr als ein Jahrzehnt, um wieder dort anzukommen, wo er vor der Krise war.Die Schlussfolgerung lautet daher: Der Abbau des Schuldenbergs dauert eine halbe Ewigkeit, nicht weil das Land reformunwillig ist, sondern obwohl es die Volkswirtschaft umfassend umgekrempelt hat. Mancher Politiker hat im Verlauf der vergangenen Jahre vorausgesagt, dass es sich bei der finanzpolitischen Konsolidierung Griechenlands um einen Prozess handelt, der Jahre oder gar Jahrzehnte dauern wird. Diese Prophezeiungen bewahrheiten sich nun. Langsam bekommt man eine Vorstellung davon, was das bedeutet – und wie kompliziert es ist, die dafür nötige Geduld politisch zu mobilisieren.——–Von Detlef Fechtner Mancher hat vorausgesagt, dass die Konsolidierung Griechenlands Jahre oder gar Jahrzehnte dauern wird. Langsam bekommt man eine Vorstellung, was das bedeutet.——-