Türkische Notenbank enttäuscht Finanzmärkte trotz Kurswechsel
Türkische Notenbank enttäuscht Märkte trotz Kurswechsel
Leitzins steigt um 650 Basispunkte – Märkte hatten mehr erwartet – Erste Erhöhung seit Anfang 2021
mpi Frankfurt
Die türkische Zentralbank hat den von vielen Beobachtern erwarteten Kurswechsel vollzogen und erstmals seit über zwei Jahren wieder die Zinsen erhöht. Der Leitzins steigt um 650 Basispunkte auf 15%, wie die Notenbank TCMB am Donnerstag in Ankara mitteilte. „Der Ausschuss beschloss, den geldpolitischen Straffungsprozess einzuleiten, um so schnell wie möglich den Weg zur Desinflation festzulegen und die Inflationserwartungen zu verankern“, heißt es in einer Stellungnahme der TCMB zum Zinsentscheid. An den Märkten machte sich dennoch Enttäuschung breit. Viele Analysten hatten im Vorfeld einen noch deutlich höheren Zinsschritt auf mindestens 20% erwartet.
„Was für eine Riesenenttäuschung!“, kommentierte Thomas Gitzel, Chefvolkswirt der VP Bank, den Zinsentscheid. „In absoluter Betrachtung mag eine Zinsanhebung um 650 Basispunkte drastisch erscheinen, doch in Anbetracht einer Inflationsrate von knapp 40% ist dies zu wenig.“ Der Abwärtssog der türkischen Lira könne so nicht gestoppt werden.
Die türkische Zentralbank ist in den vergangenen Jahren durch ihre unorthodoxe Geldpolitik aufgefallen. Obwohl die Inflationsrate im Land 2022 rasant nach oben kletterte und im Oktober mit fast 85% ihren Höhepunkt erreichte – eine der höchsten Teuerungsraten weltweit – senkte die Zentralbank wiederholt die Leitzinsen, statt diese zu erhöhen, bis sie im Februar 2023 eine Zinspause einlegte.
Beobachter sehen den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan und seinen Einfluss auf die Zentralbank als Ursache für den ungewöhnlichen geldpolitischen Kurs. Erdogan bezeichnet sich selbst als „Zinsfeind“ und befürwortet Zinssenkungen, da er sich durch die niedrigeren Finanzierungskonditionen Wachstumsimpulse für die heimische Wirtschaft erhofft. Unter den Zinssenkungen leiden jedoch die türkische Lira und das Vertrauen von Unternehmen und Investoren in den Standort Türkei. „Die Türkei unterliegt dem latenten Risiko eines Zahlungsausfalls“, sagte Gitzel. In Anbetracht einer Auslandsverschuldung von über 50% des Bruttoinlandsprodukts sei die Situation in der Türkei hochbrisant.
Neue Zentralbankchefin
Nach der Präsidentschaftswahl im Mai, bei der sich Erdogan in einer Stichwahl knapp eine erneute Wiederwahl sichern konnte, haben viele Beobachter einen Kurswechsel der Türkei hin zu einer konventionelleren Geld- und Wirtschaftspolitik erwartet. Dies liegt an den neuen Leitern im Finanzministerium und in der Zentralbank. Der neue Finanzminister Mehmet Simsek ist ein an den Finanzmärkten hoch angesehener Ökonom und Vertreter einer orthodoxen Geldpolitik. Bei seinem Amtsantritt deutete er an, dass er schrittweise zu einer konventionellen Geldpolitik zurückkehren möchte. Auch die Ernennung der ehemaligen Bankerin der US-Investmentbank Goldman Sachs Hafize Gaye Erkan zur Zentralbankchefin stärkte die Hoffnungen der Finanzmarktteilnehmer, dass in der Türkei eine geldpolitische Kurswende bevorsteht.
„Die Märkte gehen davon aus, dass Simsek und Erkan freie Hand bei der Gestaltung der Wirtschaftspolitik haben“, sagte Viktor Szabo, Investmentdirektor bei Abrdn in London. „Jeder Hinweis, der diese Annahme untergräbt, könnte den Märkten schaden, und die ersten Anzeichen sind besonders wichtig.“ Insofern geht ein zwiegespaltenes Signal von dem Zinsentscheid aus. Zwar hat Erkan offenbar die Hände frei genug, um die Zinsen zu erhöhen – auch deutlich. Doch halten Beobachter den Kurswechsel nicht für entschlossen genug, um die wirtschaftlichen Probleme der Türkei zu lösen. „Auch wenn noch weitere Zinsanhebungen in den kommenden Monaten folgen sollten, das Debüt von Erkan enttäuscht massiv“, meinte Gitzel.