Ukraine hilft EU beim Gasspeichern
Ukraine hilft EU beim Gasspeichern
Gefahr von Mangellage trotz voller Speicher nicht gebannt – Naftogaz-Chef wirbt in Brüssel – EU-Kommission prüft Versicherungsschutz
rec Brüssel
Die Gasspeicher in der Europäischen Union füllen sich schneller als vorgeschrieben. Dennoch ist für Experten die Gefahr einer Mangellage auf Jahre hinaus nicht gebannt. Die EU-Kommission wendet sich deshalb an die Ukraine – und arbeitet nach eigener Auskunft an Versicherungsgarantien für Marktteilnehmer.
Beim Blick auf Europas Gasspeicher können Beobachter sich diesen Sommer leicht in trügerischer Sicherheit wähnen. Die Preise sind stark gesunken, die Speicher zu knapp 90% gefüllt, womit das von der EU-Kommission ursprünglich für November vorgegebene Ziel schon jetzt so gut wie erfüllt ist. Die EU-Staaten sind also auf Kurs – und dennoch längst nicht aus dem Schneider.
Dafür gibt es zwei wesentliche Gründe. Der eine ist die nach wie vor spürbare Nervosität an den Gasmärkten. Sie wird am plötzlichen Preissprung der vorigen Woche deutlich: Mitarbeiter mehrerer australischer Produktionsstätten von Flüssiggas (LNG) drohen mit Streiks, was nach Bloomberg-Berechnungen 10% der weltweiten LNG-Menge betreffen könnte.
Der andere Grund: Die Speicherkapazitäten in der Europäischen Union sind begrenzt. Nicht zuletzt deshalb warten Ökonomen mit durchaus beunruhigenden Szenarien auf. Salomon Fiedler, Analyst der Privatbank Berenberg, hat die Gasversorgung stets im Blick und macht drei Risiken aus: der Stopp der verbliebenen Lieferungen aus Russland, eine kältere Witterung als vorigen Winter und weniger Erfolg beim Gassparen. Fiedlers Prognose: "Wenn mindestens zwei der drei Risiken eintreten, könnte es in der EU zu einem echten Engpass kommen."
"Die Wahrscheinlichkeit, dass sich die Krise des letzten Winters wiederholt, ist deutlich gesunken, was sich auch am Terminmarkt zeigt", sagte Leonhard Birnbaum, Vorstandsvorsitzender von Eon, in einem Interview mit Bloomberg. "Aber wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass der Strukturwandel durch den russischen Krieg in der Ukraine und den Wegfall des russischen Gases in der Versorgung Europas bestehen bleibt und die Krise daher nicht vorbei ist."
Verband sieht Handlungsbedarf
Die Initiative Energien Speichern (INES) sieht nach eigener Auskunft Handlungsbedarf bis in den Winter 2026/27. Zwar gehe man weiter davon aus, dass die gesetzlich vorgesehenen Füllstandziele erreicht werden, sagte INES-Geschäftsführer Sebastian Bleschke. "Trotzdem gilt: Die Gefahr einer Gasmangellage bei kalten Temperaturen besteht weiterhin und wird uns ohne weitere infrastrukturelle Maßnahmen vermutlich noch bis zum Winter 2026/27 begleiten. Erst danach könnte ein reduzierter Gasverbrauch weitere Maßnahmen überflüssig machen."
In Brüssel laufen deshalb kontinuierlich Überlegungen, wie eine Gasmangellage auch über dieses Jahr hinaus zu verhindern ist. Eine zentrale Rolle spielt darin die Ukraine. "Die Ukraine verfügt über mehr Gasspeicherkapazitäten als jedes andere Land in der EU", betont Oleksiy Chernyshov, Chef des staatlichen ukrainischen Energiekonzerns Naftogaz. "Wir sind bereit, unsere europäischen Partner durch die Speicherung ihrer strategischen Reserven zu unterstützen."
Schon im Frühjahr war Chernyshov nach Brüssel gereist, um für diese Idee zu werben. Nun werden diese Überlegungen konkret. "Die Ukraine verfügt über große Gasspeicherkapazitäten", heißt es in der EU-Kommission, "und die Mitgliedstaaten haben in der Vergangenheit einen Teil dieser Speicher für ihren Bedarf genutzt." Der Speicherbetreiber Ukrtransgaz sei bereits seit April für die EU zertifiziert.
Die Experten der Brüsseler Denkfabrik Bruegel schätzen, dass die EU durch zusätzliche Speicher in der Ukraine in der Lage sein wird, 10% mehr Gas einzuspeichern als üblich. Die Voraussetzungen sind den Umständen entsprechend günstig: Die Gasspeicher befinden sich überwiegend im Westen der Ukraine, also mit Hunderten Kilometern Sicherheitsabstand zur Kriegsfront. Die Leitungen in die EU stehen und wurden beispielsweise im Winter 2020 intensiv genutzt.
Gemeinsamer Gaseinkauf
"Es ist erwähnenswert, dass die EU-Kommission ukrainische Speicher in die Liste der Lieferpunkte für den gemeinsamen Einkauf von Gas im Rahmen der EU-Energieplattform aufgenommen hat", betont eine Sprecherin der Brüsseler Behörde. Demnach sind bereits erste Erfolge zu verzeichnen: In den ersten Runden des gemeinsamen Gaseinkaufs seien die ausgeschriebenen Liefermengen für ukrainische Speicher auf entsprechende Nachfrage am Markt gestoßen. "Die Kommission prüft derzeit, ob und wie Garantien öffentlicher Institutionen einen angemessenen Versicherungsschutz für in der Ukraine gespeichertes Erdgas bieten könnten", heißt es weiter.