Umschichten statt aufstocken im EU-Haushalt
Umschichten statt aufstocken
Scholz und Kollegen bremsen bei Gipfel Wünsche der Europäischen Kommission nach mehr Geld für EU-Haushalt
Der laufende EU-Gipfel beschäftigt sich neben aktuellen Krisen mit dem mittelfristigen EU-Haushalt. Bundeskanzler Olaf Scholz und andere Staats- und Regierungschefs bremsen Forderungen der EU-Kommission nach 66 Mrd. Euro mehr bis 2027. Zugeständnisse zeichnen sich nur bei der Unterstützung der Ukraine ab.
rec Brüssel
50 Mrd. Euro an langfristigen Hilfszusagen für die Ukraine: Ja. Sonstige Nachschläge fürs Unionsbudget: Nein. Diese Maxime verfolgt Bundeskanzler Olaf Scholz, wenn es um den EU-Haushalt geht. Die Möglichkeiten, Ausgabenprogramme neu zu priorisieren, seien "noch nicht ausgeschöpft", sagte Scholz unmittelbar vor Beginn eines zweitägigen EU-Gipfels mit seinen Kollegen aus den übrigen 26 EU-Staaten.
EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen wird längst geahnt haben, dass sie mit der geforderten Aufstockung des EU-Haushalts bis 2027 um 66 Mrd. Euro in vielen Hauptstädten auf Granit beißt. Am Donnerstag haben die Staats- und Regierungschefs ihre Vorbehalte persönlich vorgetragen. Die Diskussionen dienten einer "strategischen Anleitung", sagte ein hochrangiger EU-Diplomat. Undiplomatischer formuliert: Scholz und Co. haben von der Leyen die Grenzen aufgezeigt.
Einig sind sie sich dabei nicht, wie Scholz einräumte. Die Zeit sei weit fortgeschritten, aber man stehe noch "ganz am Anfang". Insofern müsse nun "klar und deutlich gesprochen werden". Da wird die Intervention von Belgiens Premierminister Alexander de Croo ganz in Scholz' Sinne sein: Was auf dem Tisch liege, sei "inakzeptabel". Die EU-Kommission müsse zusehen, ihre eigenen Ausgaben zu priorisieren, statt die Mitgliedstaaten um höhere Beiträge zu bitten.
Dem Bundeskanzler kommt dabei nolens volens eine herausgehobene Stellung zu, auch wenn die 27 EU-Staaten letztlich im Konsens den gemeinsamen Haushalt beschließen müssen. Schließlich ist Deutschland nicht nur das bevölkerungsreichste Land der Europäischen Union, sondern schultert seit jeher den größten Anteil am EU-Haushalt. Laut einer Auswertung des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) überwies Berlin 2022 im Saldo 19,7 Mrd. Euro nach Brüssel und ist weit vor Frankreich bedeutendster Nettozahler (siehe Grafik).
Parlament pro Kommission
Umschichten statt aufstocken: Das gilt einem Vertreter der Bundesregierung zufolge für alle Ausgabenposten mit Ausnahme des Hilfstopfes für die Ukraine. Bei den 50 Mrd. Euro kann Brüssel demnach auf volle Unterstützung aus Berlin zählen. Aus dem Osten Europas kommen Rufe nach noch mehr, während Ungarns Regierungschef Viktor Orbán sich querstellt.
Anderes müsse die EU-Kommission aus eigener Kraft finanzieren, heißt es in Berlin. Einem Regierungsvertreter zufolge gilt das auch für die Zinskosten des EU-Wiederaufbaufonds: Hier haben sich die Haushälter der EU-Kommission kolossal verkalkuliert, weil sie die Zinserhöhungen in dieser Höhe nicht kommen sahen.
Aus dem Europaparlament erhält die EU-Kommission hingegen Unterstützung – und zwar parteiübergreifend. Daniel Caspary, Vorsitzender von CDU/CSU im EU-Parlament, findet den Aufschlag von 66 Mrd. Euro gar "noch nicht ausreichend". Caspary und seine Kollegin von der CSU, die Vorsitzende des Haushaltskontrollausschusses Monika Hohlmeier, machen sich den Antrag des Parlaments auf zusätzliche 10 Mrd. Euro – also insgesamt knapp 76 Mrd. Euro mehr bis 2027 – zu eigen. "Der Haushalt der EU muss ausreichende Flexibilität bieten, um auf Krisen reagieren zu können", sagt Caspary.
Für die Französin Valérie Hayer von der liberalen Renew-Fraktion hat die Ukraine-Fazilität höchste Dringlichkeit. Sie findet es aber ebenso dringlich, die strategische Autonomie der EU zu stärken, Abhängigkeiten zu verringern sowie für Außenpolitik, Verteidigung und die Reaktion auf Krisen mehr Geld bereitzustellen. Trotz Pandemie und Russlands Krieg gegen die Ukraine habe die EU ihren Haushalt seit 2021 um keinen Euro erhöht. Das habe "die Union zum Stillstand gebracht". Sozialdemokraten und Grüne hegen noch umfangreichere Ausgabenwünsche.
Die Staats- und Regierungschefs lassen sich von solchen Forderungen aus dem EU-Parlament kaum beeindrucken. Übergehen können sie die aber auch nicht: Die Abgeordneten müssen Beschlüsse des Europäischen Rats mittragen. Mit Entscheidungen – das zeichnete sich bereits vor einer für den Abend geplanten Pressekonferenz ab – ist frühestens in fünf Wochen beim letzten EU-Gipfel des Jahres vor Weihnachten zu rechnen.