EIN JAHR QE DER EZB

Umstrittene Bilanz der Anleihenkäufe in Euroland

Notenbanker werten Kaufprogramm als großen Erfolg - Kritiker zweifeln Notwendigkeit an und sorgen sich um Risiken - EZB steuert auf weitere Lockerung zu

Umstrittene Bilanz der Anleihenkäufe in Euroland

Seit März 2015 kauft die EZB in großem Stil Wertpapiere, vor allem Staatsanleihen. Wie sieht die Bilanz ein Jahr später aus? Welche Hoffnungen haben sich erfüllt, welche nicht? Dazu auch eine Umfrage unter führenden Notenbankexperten.Von Mark Schrörs, FrankfurtFür EZB-Präsident Mario Draghi ist die Sache klar. Der breit angelegte Kauf von Anleihen durch die Europäische Zentralbank (EZB) seit März 2015 hat sich als “sehr effektiv” erwiesen, betont Draghi derzeit bei nahezu jeder Gelegenheit. Und als eine Mehrheit im EZB-Rat Anfang Dezember 2015 dennoch glaubte, das Programm im Kampf gegen die Mini-Inflation aufstocken zu müssen, betonte er: “Wir machen mehr, weil es wirkt, nicht, weil es gescheitert ist.”Seit März 2015 kauft die EZB im Zuge ihres Quantitative Easing (QE) für rund 60 Mrd. Euro pro Monat Wertpapiere, vor allem Staats- und öffentliche Anleihen. 1,5 Bill. Euro sollen nach aktuellem Stand so bis März 2017 ins System gepumpt werden. Nach rund einem Jahr beläuft sich der Bestand an QE-Papieren auf 771,4 Mrd. Euro (siehe Grafik).Zur gleichen Zeit aber ist die Inflationsrate im Euroraum nun im Februar sogar wieder unter null gerutscht – auf – 0,2 %, wie Eurostat gestern vorab schätzte. Die EZB strebt mittelfristig unter, aber nahe 2 % an. Und das Wirtschaftswachstum scheint sich etwas abzuschwächen. Ist die EZB mit ihrem QE also doch gescheitert?Als die EZB vergangenen März die Anleihenkäufe startete, sagten die EZB-Volkswirte auf dieser Basis für 2016 und 2017 ein Wachstum von 1,9 % und 2,1 % sowie eine Inflation von 1,5 % und 1,8 % voraus. Wenn die Experten nun am 10. März ihre allerneuesten vierteljährlichen Projektionen vorlegen, werden insbesondere jene für die Teuerung wesentlich niedriger liegen – womöglich nur noch leicht über 0 % für 2016 und bei nicht viel mehr als 1 % für 2017.In der Notenbank sind sie dennoch überzeugt, dass QE nicht gescheitert ist. Grund dafür ist vor allem eine “kontrafaktische Prüfung”: Die Experten haben eine Vielzahl Modelle durch ihre Rechner laufen lassen und geschaut, was passiert wäre, wenn die EZB seit Sommer 2014 stillgehalten hätte. Das Ergebnis: Ohne die beschlossenen Maßnahmen wäre die Inflationsrate 2015 negativ gewesen – statt 0 %. Auch 2016 läge sie 0,5 Prozentpunkte tiefer – und damit womöglich erneut im roten Bereich. Das dürfte umso mehr gelten, wenn die QE-Ausweitung und die Zinssenkung von Anfang Dezember 2015 mit berücksichtigt werden, die in dieser Kalkulation noch nicht enthalten sind. Die Anleihenkäufe werden dabei im Zusammenspiel mit dem negativen Einlagenzins als das wirkungsmächtigste Instrument angesehen.Italiens Notenbankchef Ignazio Visco brachte die Sicht unlängst im Interview der Börsen-Zeitung so auf den Punkt: “Ohne die Lockerungen, ohne die Kaufprogramme wären wir meines Erachtens in einer deflationären Situation geendet.” Gemeint ist eine Abwärtsspirale aus sinkenden Preisen und sinkendem Wachstum. Wenn es Probleme gebe, liege das daran, “dass der Gegenwind von Seiten der Weltwirtschaft stärker ist als anfänglich gedacht” (vgl. BZ vom 20. Februar). Gemeint ist primär der Ölpreisverfall sowie die Schwäche Chinas und anderer Schwellenländer.Als positiv herausgestellt werden in der EZB vor allem die deutlich gesunkenen Kreditzinsen für Unternehmen. Diese hätten auch zu besseren gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen geführt. Laut internen Schätzungen tragen die EZB-Maßnahmen zwischen 2015 und 2017 rund 1 Prozentpunkt zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) bei. Das gilt nicht zuletzt als Ergebnis der starken Euro-Abwertung. Als enttäuschend wird dagegen auch in der EZB die Entwicklung der mittel- und langfristigen Inflationserwartungen eingeschätzt, die zuletzt wieder stark gesunken sind. Dies schürt intern Sorgen vor einem Verlust der eigenen Glaubwürdigkeit. Alles in allem aber fällt das Fazit der Notenbanker positiv aus.Diese Einschätzung aber teilen nicht alle. Insbesondere in Deutschland wird QE kritisch bewertet. Dass sich die Wirtschaft nicht belebt hat und die Inflation wieder rückläufig ist, gilt als Indiz, dass das QE der EZB nicht oder zumindest nicht wie erhofft wirkt. Ein Grund sei, dass die Euro-Wirtschaft stärker als jene in den USA von der Kreditvergabe über die Banken abhängt. Zudem wird darauf verwiesen, dass die öffentliche wie die private Verschuldung noch zu hoch seien und das Bankensystem nicht repariert sei.Vor allem aber sehen die Kritiker die Notwendigkeit für QE nicht. Ihr Argument: Die Inflation sei primär wegen des Ölpreises so niedrig. Die Kernrate ohne Energie und Lebensmittel liege recht stabil bei rund 1 % und damit weit entfernt von Deflation. Allerdings ist auch diese Rate laut Eurostat im Februar auf 0,7 % gesunken. Die Kritiker gewichten zudem die Nebenwirkungen und Risiken höher: Da sind zum einen Fehlanreize für die Staaten mit Blick auf die nötige Haushaltskonsolidierung und Reformen. Bundesbankpräsident Jens Weidmann etwa kritisiert, dass die niedrigen Zinsen zu einer “Aufweichung” des Budgetkurses geführt hätten. Zum anderen wachsen die Sorgen um die Finanzstabilität. Kritisch werden insbesondere auch die Negativzinsen gesehen.EZB-Präsident Draghi und die Mehrheit im Rat ficht das aber nicht an. Sie sind nicht nur sicher, dass QE richtig war und ist. Sie scheinen auch überzeugt, dass schon nächste Woche nachgelegt werden muss. Im Januar sagte Draghi mit Blick auf das 2-Prozent-Ziel: “Wir geben nicht auf.”