Umstrittener "Magier" der Finanzmärkte

Von Peter De Thier, Washington Börsen-Zeitung, 4.3.2016 Alan Greenspan, einer der schillerndsten und zugleich umstrittensten Notenbankvorsitzenden in der Geschichte der Federal Reserve (Fed), feiert am Sonntag seinen 90. Geburtstag. Der promovierte...

Umstrittener "Magier" der Finanzmärkte

Von Peter De Thier, WashingtonAlan Greenspan, einer der schillerndsten und zugleich umstrittensten Notenbankvorsitzenden in der Geschichte der Federal Reserve (Fed), feiert am Sonntag seinen 90. Geburtstag. Der promovierte Ökonom wurde 1987 vom damaligen Präsidenten Ronald Reagan zur ersten von insgesamt fünf Amtsperioden an der Spitze der Notenbank ernannt. Er trat in die Fußstapfen des legendären Paul Volcker, machte sich aber schnell selbst einen Namen als intellektueller Querdenker. Dennoch stand Greenspan während seiner gesamten Karriere in dem hartnäckigen Ruf, die Geldpolitik an den Interessen jener Wall-Street-Banken und -Wertpapierhäuser auszurichten, die er zuvor 30 Jahre lang als Chef der eigenen Consultingfirma Townsend-Greenspan and Co. beraten hatte.Unstrittig ist, dass Greenspan die Fed durch einige der turbulentesten Phasen der US-Wirtschaftsgeschichte steuern musste. Als Nachfolger des Inflationsfalken Volcker wollte er für Kontinuität sorgen und kämpfte für weitere Zinserhöhungen. Als es wenige Monate nach seinem Amtsantritt im Oktober 1987 an der Wall Street zum schlimmsten Crash seit dem Schwarzen Freitag des Jahres 1929 kam, sah sich der noch unerfahrene Greenspan zu einem Kurswechsel gezwungen. Er drehte für einige Monate den Geldhahn wieder auf.In den Jahren danach profilierte sich der konservative Republikaner vor allem durch einen politischen Aktivismus, mit dem er sich den Zorn führender Demokraten zuzog. Er plädierte für Steuersenkungen ebenso wie für die Privatisierung der gesetzlichen Rentenversicherung. Demokraten warfen ihm vor, als Vorsitzender einer definitionsgemäß unabhängigen Zentralbank seine Kompetenzen überschritten zu haben.Die größten Kontroversen bezogen sich aber auf Greenspans Geldpolitik. Während die Märkte als Folge seiner Politik des leichten Geldes boomten, wurde der oberste Währungshüter wie ein Rockstar gefeiert. Ein Biograf verehrte ihn als den “Hohepriester des Geldes”. Als es dann aber krachte, wurde Greenspan als opportunistischer Scharlatan dämonisiert, der in Absprache mit seinen Wall-Street-Freunden erst dann reagiere, wenn es zu spät sei. Viele Ökonomen machen eine Serie von Zinserhöhungen im Jahre 2000 mitverantwortlich für das Zerplatzen der “Dotcom-Blase” und den daraus resultierenden Kurssturz an den Aktienmärkten.Als Reaktion auf die Terroranschläge vom 11. September ließ Greenspan den Leitzins mehrfach zurücknehmen. Obwohl die Immobilienpreise bereits überproportional anzogen, ermutigte der Fed-Chef bei mehreren Kongressauftritten Verbraucher, beim Hauskauf exakt jene Kredite mit variablen Zinssätzen aufzunehmen, die später zum Kollaps des Immobilienmarkts und zur schlimmsten Finanzkrise seit der großen Depression führten.Durchaus kontrovers war auch die Kommunikationspolitik der Fed unter Greenspan. Häufig kokettierte er mit dem kryptischen Charakter seiner Aussagen und sagte vor dem Bankenausschuss des Senats: “Wenn Sie glauben, mich verstanden zu haben, dann haben Sie mich bestimmt missverstanden.” Unter Greenspan entstand der Begriff “Fedspeak” als Synonym für unklare und mehrdeutige Aussagen der Fed-Gouverneure. Erst gegen Ende seiner Amtszeit wich die “Fedspeak” einer transparenteren Kommunikationspolitik. Als er 2006 an seinen Nachfolger Ben Bernanke übergab, hinterließ Alan Greenspan ein Vermächtnis, das so durchwachsen ist wie bei keinem anderen Fed-Vorsitzenden. Er kehrte in die Privatwirtschaft zurück und berät heute noch führende Finanzinstitutionen.——–Alan Greenspan wird 90: Einst als “Hohepriester des Geldes” gefeiert, wird er nun kritischer gesehen.——-