GASTBEITRAG

Unabhängigkeit der Fed gefährdet

Börsen-Zeitung, 2.2.2019 Da zerbrechen sich tausende Wissenschaftler bei Notenbanken, dem Internationalen Währungsfonds (IWF) und anderen Institutionen seit Jahren den Kopf darüber, wie man mit der in der Finanzmarktkrise in die Märkte gepumpten...

Unabhängigkeit der Fed gefährdet

Da zerbrechen sich tausende Wissenschaftler bei Notenbanken, dem Internationalen Währungsfonds (IWF) und anderen Institutionen seit Jahren den Kopf darüber, wie man mit der in der Finanzmarktkrise in die Märkte gepumpten Zentralbankliquidität umgeht, und dann kommt der wichtigste Notenbanker der Welt, Fed-Chef Jerome Powell, und sagt: Im Grunde genommen ist die Überschussliquidität etwas Gutes und stabilisiert den Bankensektor. Ist also die ganze Sorge, die man sich um Vermögenspreisblasen und die Unabhängigkeit der Notenbank macht, unnötig gewesen? Nein, und es überrascht doch etwas, wie in einem Nebenstatement eine Grundkonzeption der Geldpolitik geändert wird. Was wird aus dem Exit? Worum geht es? Die Finanzmarktkrise von 2008/2009 hatte die US-Notenbank dazu veranlasst, die Wirtschaft massiv mit Liquiditätsspritzen zu unterstützen. Bekannt ist diese Vorgehensweise als quantitative Lockerung (Quantitative Easing, QE), bei der die Notenbank von den Banken Anleihen kauft und sich im Gegenzug die Menge an Zentralbankgeld erhöht. Ablesen kann man das näherungsweise anhand der Bilanzsumme der Notenbank, die derzeit bei etwa 4 Bill. Dollar liegt. Dies ist eine Vervierfachung gegenüber dem Volumen von vor der Finanzmarktkrise.Das Ziel der Notenbank war klar: Man wollte die Inflation wieder in die Nähe seiner Zielgröße bewegen, indem die langfristigen Renditen niedrig gehalten und die Investitionen angeregt werden, so dass die Wirtschaft in Schwung kommt. Genauso klar war bislang auch, dass bei Erreichen dieses Ziels der Exit angesteuert wird.Genau damit hat die Fed auch begonnen. Seit Oktober 2017 reduziert die Notenbank sehr vorsichtig ihre Bilanzsumme, die letztlich das Gegenstück zur Liquidität ist, die sich im Markt befindet. Jetzt aber hinterlässt Powell den Eindruck, dass man auf diesem Weg keinesfalls noch lange weitergehen muss. Powells Argument: Überschussliquidität stabilisiert den Bankensektor, denn sie macht es unwahrscheinlich, dass Kreditinstitute in Liquiditätsschwierigkeiten geraten. Der Punkt ist natürlich nicht neu und insbesondere zu Beginn der Bankenkrise waren die Liquiditätsspritzen ein entscheidendes Mittel, um den Finanzsektor zu stabilisieren. In einem relativ robusten Wachstumsumfeld kann das Argument aber nicht überzeugen. Denn den Notenbankern war von jeher bewusst, dass es sich bei QE um eine sehr starke Medizin mit möglichen Nebenwirkungen handelt. BlasengefahrEine konkrete Nebenwirkung von QE ist die Gefahr von Asset-Preis-Blasen. Powell selbst hat den Markt für Unternehmensanleihen und für Gewerbeimmobilien bei einer Rede im letzten Dezember als ungewöhnlich hoch bewertet identifiziert. Beim Aktienmarkt machte sich Powell keine Sorgen, aber Tatsache ist, dass auch nach der letzten Korrektur beim S&P 500 das von Nobelpreisträger Robert Shiller konstruierte inflationsbereinigte Kurs-Gewinn-Verhältnis für diesen Index weiterhin nur wenig unter dem Wert vom 29. Oktober 1929, dem berühmten schwarzen Dienstag, liegt. Auf ein anderes Problem hat der Internationale Währungsfonds (IWF) in einem seiner letzten Stabilitätsreporte hingewiesen. Extrem niedrige VolatilitätDer Währungsfonds zeigt, dass die Liquidität der Notenbanken über Jahre für eine extrem niedrige Volatilität gesorgt hat. Da Kursschwankungen der Vergangenheit von vielen Portfoliomanagern als ein Maß für das Risiko berücksichtigt werden und als Strategie häufig eine konstante Risikogröße des Portfolios angestrebt wird, kommt es zu einem prozyklischen Verhalten: Je niedriger die Volatilität, desto mehr Wertpapiere mit einer schlechteren Bonität und/oder einer längeren Laufzeit werden in das Portfolio aufgenommen, um das Gesamtrisiko konstant zu lassen.Steigt die Volatilität später wieder, müssen hingegen die besonders risikoträchtigen Papiere auf den Markt geworfen werden, was die Volatilität zusätzlich erhöht. Das kann die Kursrückgänge verstärken und im Extremfall eine Finanzmarktkrise auslösen.Für die Notenbank kann es darüber hinaus zu der politisch unangenehmen Situation kommen, vom Finanzministerium finanziert werden zu müssen. Warum? In den USA halten die Banken ihre Überschussliquidität bei Banken und erhalten dafür einen Zins. Die Notenbank wiederum erhält Einnahmen aus den Kupons der Anleihen, die sie auf ihrer Bilanz hält. Kein NaturgesetzEs gibt aber kein Naturgesetz, wonach die Verzinsung auf der Aktivseite bei einer Notenbank stets höher ist als die Verzinsung auf der Passivseite. Beispielsweise liegt die fünfjährige Rendite von T-Notes im Zeitraum 2014 bis heute bei durchschnittlich 1,85 %, die Verzinsung der Überschussreserven mit dem IOER (Rate of Interest on Excess Reserves) ist derzeit jedoch 2,4 %. Mit diesen Titeln macht die Fed also ein Minusgeschäft. Muss am Ende sogar das Finanzministerium einspringen, könnte die Politik darauf dringen, die Unabhängigkeit der Notenbank auf den Prüfstand zu stellen.Das offenbart eine weitere Gefahr: Möchte die Notenbank angesichts einer guten wirtschaftlichen Lage den Zins anheben, muss sie den Einlagenzins IOER – das ist im Grunde genommen der neue Leitzins – erhöhen. Das aber belastet ihre Ausgabenseite und kann sogar zu Verlusten führen. Eine neue Variable kommt also ins Spiel, die in der traditionellen geldpolitischen Konzeption, wo sich Banken Geld leihen und die Notenbank Seigniorage erhält, keine Rolle spielt. Das erschwert es, eine Geldpolitik zu betreiben, die sich ausschließlich an den wirtschaftlichen Gegebenheiten orientiert. TabubruchInteressant wird auch zu beobachten sein, wie etwa die EZB auf den Paradigmenwechsel aus den USA reagiert. Die Entscheidung gibt den Euro-Mitgliedsländern, wie etwa Italien, Rückenwind, die am liebsten auf einen Exit aus der QE-Politik ganz verzichten würden. Für Deutschland, das quasi als Erfinder der politisch unabhängigen Notenbank gilt, ist der Kurswechsel der Fed ein Tabubruch. Die Fed wirft mit ihrer jüngsten Stellungnahme viele Fragen auf. Es ist zu hoffen, dass das Kopfzerbrechen auch bei der US-Notenbank noch weitergeht.—-Cyrus de la Rubia, Chefvolkswirt der HSH Nordbank