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Unbeschriebenes Blatt mit langem Lebenslauf

Von Gerhard Bläske, Mailand Börsen-Zeitung, 23.5.2018 Noch ist der Kandidat von Lega und Movimento 5 Stelle (M5S) für das Amt des italienischen Ministerpräsidenten gar nicht ernannt, da macht er schon negative Schlagzeilen. Der...

Unbeschriebenes Blatt mit langem Lebenslauf

Von Gerhard Bläske, MailandNoch ist der Kandidat von Lega und Movimento 5 Stelle (M5S) für das Amt des italienischen Ministerpräsidenten gar nicht ernannt, da macht er schon negative Schlagzeilen. Der Rechtswissenschaftler und Professor für Privatrecht an den Universitäten von Florenz und Rom (LUISS) soll bei seinem Lebenslauf ein bisschen geschummelt haben. So gab er an, 2008 und 2009 an der New York University gewesen zu sein. Dort weiß man aber von nichts. Es könne sein, dass Conte ein- oder zweitägige Veranstaltungen besucht habe. Bei den M5S heißt es, Conte habe nie behauptet, dort studiert zu haben. Es sei darum gegangen, sein Wissen zu “perfektionieren und aufzufrischen”. Auch an anderen Stellen weist sein umfangreicher Lebenslauf allerdings Ungereimtheiten auf.Ansonsten ist Conte außerhalb des Universitätsbetriebs ein weitgehend unbeschriebenes Blatt und in der Öffentlichkeit nicht bekannt. Dass er dennoch der Kandidat der beiden europafeindlichen Parteien ist, zeigt womöglich, dass diese eine Art Erfüllungsgehilfen für ihr Regierungsprogramm, das ganz Europa beunruhigt, brauchen. Eine mögliche Koalitionsregierung will die Ausgaben etwa durch ein monatliches Grundeinkommen von 780 Euro, ein Infrastrukturprogramm sowie weitere Maßnahmen drastisch erhöhen und gleichzeitig eine Flat Tax einführen, das Rentenalter herabsetzen und illegale Auswanderer in großer Zahl ausweisen.Staatspräsident Sergio Mattarella zögert mit der Ernennung und hat sich Bedenkzeit ausbedungen. Er scheint von Conte nicht überzeugt zu sein. Die Finanzmärkte sind im Zusammenhang mit dessen möglicher Bestellung bzw. einer neuen Regierung äußerst nervös. Der Spread zwischen deutschen und italienischen Staatsanleihen ist in den letzten Tagen teilweise bis auf 190 Basispunkte gestiegen, der Aktienmarkt hat sich rückläufig entwickelt, wobei vor allem Bankenaktien unter Druck standen, und die Ratingagentur Fitch warnt vor einer möglichen Rückstufung Italiens.Conte verfügt über praktisch keine politischen Erfahrungen, weist aber einen durchaus beeindruckenden Lebenslauf auf – selbst wenn nicht alle Angaben korrekt sein sollten. Der stets elegant auftretende 54-Jährige, der deutlich jünger wirkt, promovierte 1988 an der römischen La-Sapienza-Universität summa cum laude. Er studierte in Yale, an der Pariser Sorbonne, in Pittsburgh, Cambridge und New York. Und er verbrachte offenbar drei Monate am Internationalen Kulturinstitut in Wien.Der aus einem kleinen Dorf in Apulien stammende Professor lebt in Rom und ist Mitglied des Obersten Richterrats für administrative Justiz. In der Vergangenheit war er auch Dozent an den Universitäten von Malta und Sassari (Sardinien). Seine Veröffentlichungsliste ist riesig. Kürzlich veröffentlichte er Bücher zum “Schutz der fundamentalen Rechte und Freiheiten” und zur Verantwortung im Unternehmen.Conte hat nach eigenen Angaben stets links gewählt. Heute halte er aber “die ideologischen Schablonen des 20. Jahrhunderts” für überholt. Er steht den M5S nahe, zu denen er durch seinen Freund Alfonso Bonafede, rechte Hand von M5S-Chef Luigi Di Maio, kam. Der geschiedene Vater eines Zehnjährigen wird als ausgeglichen und gemäßigt geschildert. Professoren als PremiersWürde er tatsächlich ernannt, stünde er in einer Tradition anderer Wissenschaftler wie Romano Prodi oder Mario Monti, die in der Vergangenheit ebenfalls Regierungschefs waren. Mehr noch als über Conte könnten die Märkte jedoch über seinen möglichen Wirtschaftsminister Paolo Savona besorgt sein. Der 84-Jährige gehört zwar zum Establishment und war in den neunziger Jahren Industrieminister, arbeitete für die Banca d’Italia und war Chef von Unternehmen wie der römischen Flughafengesellschaft. Er hat seither jedoch einen deutlichen Wandel vollzogen. Er ist antieuropäisch und tritt für ein Referendum zum Euro-Austritt ein. Zudem vertritt Savona dezidiert antideutsche Positionen. Die Zeitung “La Stampa” hat Schriften von ihm ausgewertet. Darin wirft er Deutschland vor, Europa zu unterjochen und eine ähnliche Politik wie die Nationalsozialisten zu betreiben – nur ohne militärische Mittel.