Ungeklärte Machtfrage
Beim bevorstehenden Parteitag der CDU geht es um nicht mehr und nicht weniger als das Überleben der Christlichen Demokratischen Union Deutschlands. Am Freitag und Samstag kommen mehr als 1 000 Delegierte in Leipzig zusammen. 2003 hatten sich die Parteimitglieder zuletzt in der sächsischen Handelsmetropole getroffen. Rückblickend war es einer der wichtigsten Programmparteitage der CDU. Damals gingen Reformsignale marktwirtschaftlicher Prägung von Leipzig aus. Ein Prämienmodell in der Gesundheitsversorgung und ein Steuersystem mit den Kriterien “einfach, transparent und gerecht” hatte sich die CDU dort auf die Fahnen geschrieben. In den Jahren der Regierung Angela Merkel von 2005 an rückte die Partei davon zunehmend ab.Den Parteitag 2019 hatte Annegret Kramp-Karrenbauer – zunächst als Generalsekretärin und seit einem Jahr als Parteivorsitzende – dazu ausersehen, die CDU von pragmatisch wieder auf programmatisch auszurichten. Ein auf Monate angelegter Diskussionsprozess über die Positionierung zur Sozialen Marktwirtschaft sollte den Zusammenhalt unter den rund 410 000 Parteimitgliedern festigen und neue Richtung vorgeben. Die Revision passte mit Blick auf globale Verteilungskämpfe sowie den Umbruch im Wirtschaftsleben durch die Digitalisierung durchaus in die neue Zeit. Der Antrag des Bundesvorstands zur “Sozialen Marktwirtschaft von Morgen” für den Parteitag ist mehr als dünn. Das Papier erschöpft sich in der Einführung der Nachhaltigkeit als Staatsziel.Tatsächlich wird in Leipzig nun aber keine Sach-, sondern eine Personaldebatte geführt werden – wenn auch nicht offen, so doch zwischen den Zeilen. Denn auch nach einem Jahr mit Kramp-Karrenbauer an der Parteispitze ist die Führungsfrage in der CDU nicht entschieden. Die Abstimmung über einen Kanzlerkandidaten steht bei diesem Parteitag formal nicht an. Angela Merkel will nach eigenem Bekunden noch für die gesamte Legislaturperiode als Kanzlerin wirken. Regulär ist im Herbst 2021 die nächste Bundestagswahl.Friedrich Merz macht sich weiter Hoffnungen auf das Amt, auch wenn er 2018 im Kampf um den Parteivorsitz Kramp-Karrenbauer knapp unterlag. Chancen sind für ihn durchaus vorhanden, nachdem die Parteivorsitzende und ihr Generalsekretär Paul Ziemiak selbst Fehler in den vergangenen Monaten eingeräumt haben. Beachtliche Teile der Partei zweifeln, dass Kramp-Karrenbauer die Regierungsmacht erhalten kann – ein Unterfangen, das durchaus schwieriger ist, als Regierungsmacht aus der Opposition zu erringen, wie es Merkel 2005 gelang. Wünsch-dir-was-Thesen müssen den Realitätstest bestehen. Aber auch Merz macht Fehler. Nach der Fundamentalkritik eines “grottenschlechten” Bildes der Regierung ruderte er zurück. Eines hat die CDU aus dem Clinch mit der Schwesterpartei CSU gelernt: Diese Art von Streit belebt nicht, er schadet. Denn auch das Vertrauen der Wähler schwindet in Parteien, die keine Führungskompetenz versprühen, sondern um sich selbst kreisen. Im Machtkampf um die CDU-Spitze stehen zudem weitere Spieler parat: Armin Laschet, Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen, und Jens Spahn, aktuell rühriger Bundesgesundheitsminister und im selben Bundesland beheimatet wie Laschet. Beide warten nur auf den günstigen Moment, in das Spiel einzugreifen. Nur Konkurrenz machen dürften sie sich nicht.Nur mit der offenen Machtfrage ist auch zu erklären, dass ein möglicher Parteitagsbeschluss, Huawei dezidiert vom Ausbau des Mobilfunknetzes auszuschließen, solche Wellen schlägt. Dabei geht es weniger um durchaus berechtigte Sicherheitsbedenken gegen den Anbieter aus dem autokratischen China. Dem deutschen regelbasierten und marktwirtschaftlichen Verständnis wäre es fremd, konkrete Firmen an den Pranger zu stellen. Huawei nimmt in Leipzig eine Stellvertreterfunktion ein: für die Machtprobe zwischen Parteibasis und Regierung, nachdem Merkel sich gegen den Ausschluss Huaweis positioniert hat. Unmut von der Basis schlägt der Parteispitze auch mit einem Antrag gegen die Grundrente entgegen. Der mühsam gefundene Kompromiss in der großen Koalition wird damit in Frage gestellt. Die CDU muss ihre Machtfrage vor allem schnell lösen, will sie überleben. Monatelange interne Dispute sind der Garant dafür, dass auch eine Volkspartei blitzschnell in der Versenkung verschwindet. Steigt die SPD aus der Koalition aus, geht alles nur noch schneller: vor allem die Notwendigkeit für die Union, sich auf einen Kanzlerkandidaten oder eine Kandidatin festzulegen.——Von Angela WefersDie CDU muss möglichst bald den Kampf um ihre Führung beenden. Sonst droht sie als Volkspartei in der Versenkung zu verschwinden.——