"Union kann verschiedene Kandidaten verkraften"
Demoskop Matthias Jung ist sich sicher: Wahlen kann die Union nur in der Mitte gewinnen und am besten mit einem Kanzlerkandidaten, der Kontinuität zu Angela Merkel bietet. Ein Interview über die Vorzüge und Nachteile möglicher Kandidaten und darüber, warum stramme Wirtschaftspolitik nicht weiterhilft. Herr Jung, welcher Kandidat kann die Union zum Sieg bei der Bundestagswahl im September führen?Die CDU wählt einen Parteivorsitzenden. Die Frage des Kanzlerkandidaten stellt sich erst danach. Die Delegierten ticken anders als die Gesamtbevölkerung. Die Außenwirkung ist nur spannend, weil dahintersteht: Wer wird eventuell Kanzler? Und wer könnte es werden?Das Politbarometer zeigt bei den zehn wichtigsten Politikern: Norbert Röttgen ist nicht einmal dabei. Die Daten für Friedrich Merz und Armin Laschet weisen sehr bescheidene Werte auf. Auch die Werte beim Kernklientel der CDU/CSU-Anhänger liegen weit unter denen des CSU-Vorsitzenden Markus Söder. Muss der Neue möglichst dem Merkel-Kurs folgen?Dass Merkels Ansehen am Schluss der Amtszeit – anders als bei Helmut Kohl – in der Breite der Bevölkerung so hoch verankert ist, bedeutet strategisch für die Wahlchancen: Wer kann am glaubwürdigsten Kontinuität zu Merkel signalisieren? Warum sind die Werte von Söder bei der Kanzlerfähigkeit so hoch?Ein Teil des Zuspruchs von Söder hängt damit zusammen, dass er in den vergangenen Monaten am glaubwürdigsten den Schulterschluss mit Merkel demonstriert hat. Merz würde das als Antipode zu Merkel nicht gelingen?Merz ist wirtschaftsnah und konservativ profiliert. Jetzt merkt er, dass diese Rolle nicht mehr passt. Der krampfhafte Versuch, sich plötzlich in Richtung Schwarz-Grün zu positionieren, wird als unglaubwürdig wahrgenommen. Welcher Kandidat kann sein Ansehen noch verbessern?Keiner von den Dreien hat eine attraktive Plattform. Das Amt des Parteivorsitzenden unter einer angesehenen Kanzlerin wird keine günstige Startposition sein. Laschet hat ein Regierungsamt – Söder auch.Jeder CSU-Chef hat einen bundespolitischen Anspruch sui generis. Söder tritt als Sprecher der Unions-Länder in Erscheinung. Er ist allgemeinverständlich und beherrscht das Handwerk des medialen Auftritts. Laschet hat sich über Talkshows mehrfach in Probleme geritten. Ist der Kanzlerkandidat überhaupt entscheidend für die CDU?Egal ob die Union ein gutes oder schlechtes Ergebnis hat: Sie hat wahrscheinlich Zugriff auf das Kanzleramt. Sie kann in einem gewissen Maße verschiedene Kandidaten verkraften. Die SPD braucht viel mehr einen brillanten Kandidaten, der die strukturelle Misere ausgleicht. Also wären alle geeignet?Mit Merz kann die Union nicht glaubwürdig die breite Mitte und alle jene halten, die Merkel neu an die Union herangeführt hat. Er wäre auch eine hervorragende Chance für die Grünen, in dieser Mitte zu punkten. Fischen nicht alle in der Mitte?Heute stehen viel mehr Wähler in der politischen Mitte als vor 20 bis 30 Jahren. Wir haben einen breiteren Konsens, auch hinter der Position einer Sozialen Marktwirtschaft. Im Sinn von sozial abgefedert oder von ordoliberal?Das ist die sehr stark sozial abgesicherte Marktwirtschaft. Aber: Die Sozialausschüsse der CDU haben keine so starke Bedeutung mehr wie unter Helmut Kohl. Der Wirtschaftsflügel in der Bundestagsfraktion hat eine erdrückende Stärke erreicht. Die Wirtschaft hätte sicher gern noch mehr Stärke.Dies beschädigt die Wahlaussichten der Partei. In der Bevölkerung gibt es nur 10 % Selbstständige. Die meisten Wirtschaftsführer sind Manager. Sie denken nicht wie Unternehmer. Der sozialverantwortliche Gedanke ist im Mittelstand wesentlich stärker verbreitet als in den Dax-Konzernen, wo in der Krise als erstes Leute entlassen werden. Was geschieht nach der Wahl des Vorsitzenden in den Umfragen?Eine von Merz geprägte Union könnte die FDP in Schwierigkeiten bringen. Wenn die FDP aus dem Bundestag fliegt und die Grünen in der linken Mitte gewinnen, könnte es für Grün-Rot-Rot reichen – als Ergebnis einer ordoliberalen Orientierungsveränderung der Union. Mit Laschet wird es viel einfacher sein, eine durchaus hilfreiche Unschärfe der Programmatik zu vermitteln. Das Programm der Union verlangt Unschärfe?Es gibt nur eine Mehrheit für gemäßigte Positionen. Eine Volkspartei ist eine Catch-all-Partei. Sie liefert das Versprechen, unterschiedlichste Interessen integrieren zu können und Regierungsfähigkeit sicherzustellen. Mit pointierter Programmatik bekommen wir ein zersplittertes Parteiensystem und bestenfalls Dreierkoalitionen. Wie sieht es mit Bundesgesundheitsminister Jens Spahn aus? Dessen Imagewert liegt in der Größenordnung von Söder.Das hängt mit seiner Rolle in der Krise zusammen. Er hat sich bislang bedeckt gehalten. Jeder Spitzenpolitiker denkt darüber nach, ob er Kanzler werden kann. Die Frage stellt sich diesmal für ihn noch nicht. Er ist in einem Alter, in dem er davon profitieren kann, im Gespräch zu bleiben. Das Interview führte Angela Wefers.