NOTIERT IN LONDON

Unsere Inseln, unsere Zukunft

Was würde wohl Detective Inspector Jimmy Pérez dazu sagen, dass die Shetland-Inseln nach Unabhängigkeit streben? Den meisten Briten - und dank des großen Erfolgs der BBC-Fernsehserie auch vielen Kontinentaleuropäern - ist die raue Landschaft der...

Unsere Inseln, unsere Zukunft

Was würde wohl Detective Inspector Jimmy Pérez dazu sagen, dass die Shetland-Inseln nach Unabhängigkeit streben? Den meisten Briten – und dank des großen Erfolgs der BBC-Fernsehserie auch vielen Kontinentaleuropäern – ist die raue Landschaft der abgelegenen Inselgruppe im Norden Schottlands durch die Verfilmung der Krimis von Ann Cleaves vertrauter geworden, in denen Pérez die Ermittlungen führt. Die politischen Verhältnisse dort sind aber für nahezu alle ein Buch mit sieben Siegeln. Nicht dass sie einem Sorgen machen müssten, hat das subpolare Archipel doch gerade einmal halb so viele Einwohner wie Bad Homburg. Spannend ist jedoch, dass gerade dann, wenn die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon vehement für die Zerschlagung des Vereinigten Königreichs trommelt, auch in Schottland die Zentrifugalkräfte zunehmen.”Unsere Inseln, unsere Zukunft”, lautete der Slogan, mit dem die Lokalverwaltung vor sechs Jahren das schottische Unabhängigkeitsreferendum begleitete, um mehr Autonomie zu fordern. Damals stimmten in Shetland 63,7 % für den Verbleib in Großbritannien. Nun will die große Mehrheit der 22 Ratsverordneten der Inseln prüfen, wie sich “finanzielle und politische Selbstbestimmung” erreichen lässt. Unabhängigkeitsbestrebungen sind keine neue Erscheinung dort. Schon im 19. Jahrhundert bemühte sich die Udal-Liga darum. Mit altnordischen Sitten haben die heutigen Befürworter einer Loslösung von Schottland aber nicht viel am Hut. Beim Referendum von 1979 stimmten sie mit großer Mehrheit gegen ein schottisches Regionalparlament, weil sie um ihre Einnahmen aus dem Ölgeschäft fürchteten. Damals entstand das Shetland Movement, das sich für eine Autonomie im Stil der Färoer oder der Isle of Man aussprach und zeitweise um die 800 Mitglieder hatte. Vor fünf Jahren trat die politisch eher rechts stehende Wir Shetland auf den Plan, die sich für den Verbleib in Großbritannien starkmacht. Die Bewohner von Hjaltland, wie die Inseln auf altnordisch heißen, sind aber keine nationalistischen Ideologen. Beim EU-Referendum sprachen sie sich mit 56,5 % für den Verbleib in der Staatengemeinschaft aus. Sie sind einfach unzufrieden darüber, dass ihr Alltag zunehmend von Juristen aus Edinburgh und Gewerkschaftsfunktionären aus Glasgow bestimmt wird. Ende der 1960er Jahre konnten sie nur knapp verhindern, dass ihre Lokalverwaltung im Highlands Regional Council aufgeht, verloren aber die Kontrolle über Wasserversorgung und Polizei.Zuletzt sorgten die vom staatseigenen schottischen Flughafenbetreiber HIAL verordnete Erhebung von Parkgebühren am Airport Sumburgh und die Zusammenführung der Luftraumüberwachung auf dem Festland für Verärgerung. Die Lokalpolitiker fürchten, dass Zentralisierung und Budgetkürzungen nicht nur den Wohlstand, sondern auch das langfristige Überleben der Inselgemeinden gefährden. Maßnahmen der schottischen Regierung, die Shetland helfen sollten, wie der Islands Act von 2018, hätten das nicht getan. In Westminster wird der Wahlkreis Orkney und Shetland nicht etwa von einem schottischen Nationalisten vertreten, sondern von Alistair Carmichael, einem Liberaldemokraten. “Allgemein lässt sich sagen: Je weiter entfernt Entscheidungen von den Menschen, die sie betreffen, gefällt werden, desto wahrscheinlicher ist, dass es sich dabei um schlechte Entscheidungen handelt”, sagte Carmichael, der sich hinter die Autonomiebestrebungen stellte.Als Beispiel dafür, wie es besser gehen könnte, wird gerne auf die Färoer verwiesen. Schon in den 1960er Jahren versuchte der damalige Zetland County Council herauszufinden, was hinter dem wirtschaftlichen Erfolg der Nachbarn steht. Die im Mittelalter besiedelten Inseln im Nordatlantik gehören zwar zu Dänemark, ihre Bewohner haben aber selbst das Sagen, wenn es um Themen wie Energie, Erziehung, Handel, Steuern oder Umwelt geht. Auch die Fischerei und die Nutzung aller anderen natürlichen Ressourcen werden von ihnen kontrolliert. Darüber gab es immer wieder Streit zwischen Schottland und Shetland. Kein Wunder: Der Großteil der schottischen Öl- und Gasreserven befindet sich rund um Shetland.