Unsicherheit ist die „neue Norm“ für die Weltwirtschaft
Unsicherheit ist die „neue Norm“ für die Weltwirtschaft
IWF sieht dauerhafte Konjunkturrisiken
Unsicherheit über Folgen der US-Zölle und künftiges finanzielles Umfeld
det Washington
Die Weltwirtschaft hat nach Ansicht von IWF-Chefin Kristalina Georgiewa mit bemerkenswerter Resistenz auf tiefgreifende geopolitische und technologische Transformationen reagiert. Gleichwohl müssten Volkswirtschaften andauernde Konjunkturrisiken bewältigen, die sich in den kommenden Monaten empfindlich zuspitzen könnten. Potenzielle Gefahren sieht die geschäftsführende Direktorin des Internationalen Währungsfonds (IWF) in den inflationären Folgen der US-Einfuhrzölle. Risiken gehen aber auch von zugespitzten Handelskonflikten und einer möglichen Verschärfung globaler Finanzierungskonditionen aus, warnte Georgiewa im Vorfeld der IWF-Jahrestagung. „Unsicherheit ist die neue Norm, und die Unsicherheit wird bleiben“, sagte Georgiewa in ihrer Curtain-Raiser-Rede.
Hohe Widerstandsfähigkeit
Gleichwohl bescheinigte sie der globalen Konjunktur hohe Widerstandsfähigkeit. So herrschte im Frühjahr noch eine weit verbreitete Angst vor einer möglichen Rezession in den USA. Auch hätten viele Ökonomen gefürchtet, dass ein Konjunktureinbruch in den USA auf die Weltwirtschaft überschwappt. Die Rezession sei aber ausgeblieben, betonte Georgiewa. Zudem werde der neue Weltwirtschaftsausblick (WEO) kommende Woche zeigen, dass der IWF für 2025 und auch das kommende Jahr nur eine geringe Abschwächung erwartet.
Als vorrangigen Grund für die Resistenz nannte Georgiewa verbesserte politische Fundamentaldaten und globale Koordination. Dazu habe eine glaubwürdige und transparente Geldpolitik beigetragen. Eine Rolle spielen auch neue, rigide fiskalische Regeln, sagte sie. Dazu kamen staatliche Ausgabenprogramme, vor allem in den Jahren nach der Corona-Pandemie. Die IWF-Chefin bescheinigte insbesondere den Schwellenländern, ihre fiskalischen und institutionellen Rahmenwerke verbessert zu haben.
Flexibilität im Privatsektor
Georgiewa betonte auch die hohe Flexibilität, die der Privatsektor in angespannten Zeiten bewiesen hat. So hätten Firmen im Vorgriff auf die US-Zölle Einfuhren beschleunigt und ihre Lieferketten neu organisiert. Nach Jahren solider Gewinne seien die Unternehmensbilanzen robust. Zudem passe sich die Privatwirtschaft den Herausforderungen Künstlicher Intelligenz (KI) an und betrachte diese zugleich als Wachstumschance. Als positiv hebt Georgiewa auch die leichte Entspannung an der handelspolitischen Front hervor. Der „Schock-Effekt“ des US-Protektionismus sei geringer als befürchtet ausgefallen.
Zwar liegt der effektive, durchschnittliche Zollsatz in den USA nun deutlich über dem Rest der Welt. Gleichwohl ist dieser seit April um fast 6 Prozentpunkte zurückgegangen, betont die IWF-Direktorin. Zudem sei es gelungen, mit regionalen Abkommen das Abgleiten in einen Handelskrieg zu vermeiden. Trotz des unvorhersehbaren Umfelds gilt es laut Georgiewa umso mehr, auf offene Märkte und eine Belebung des Welthandels zu setzen. Optimistisch stimmt Georgiewa auch das insgesamt günstige finanzielle Umfeld.
Warnsignale für die Wirtschaft
Hohe Zuversicht über die produktivitätssteigernde Wirkung von KI habe die Finanzmärkte beflügelt, sagte sie. Dazu haben vor allem geringe Risikoprämien und der Wertverlust beim US-Dollar beigetragen. Von der schwächeren US-Valuta, so die IWF-Direktorin, hätten vor allem Schuldner profitiert, deren Zahlungsverpflichtungen auf Dollar lauten.
Dennoch sieht Georgiewa Warnsignale. Dass die globale Nachfrage nach Gold deutlich gestiegen ist, betrachtet sie als Zeichen von Unsicherheit bei Investoren. Auch betont die IWF-Chefin, dass die Zölle noch nicht ihre volle Wirkung entfaltet haben. Möglich sei zudem ein Stimmungsumschwung an den Märkten mit negativen Folgen für die Finanzierungskonditionen. Die derzeitige Hausse, so Georgiewa, erinnere an die „Dot-com“ Preisblase vor 25 Jahren.
Tragfähiges Wachstum
Um den Risiken entgegenzuwirken, fordert die Chefin des Währungsfonds Maßnahmen, um tragfähiges Wachstum sicherzustellen. Im Mittelpunkt stehen dabei Produktivitätssteigerungen. Dazu sollten die IWF-Mitglieder exzessive Regulierung vermeiden. „Wettbewerb ist unverzichtbar, und Regulierung darf nicht zu unfairen Konkurrenzvorteilen führen“, betonte Georgiewa.
Unmissverständlich spielte sie auf politische Entwicklungen in den USA an. Die IWF-Direktorin betonte nämlich die Bedeutung einer starken Finanzaufsicht, institutioneller Unabhängigkeit und der Achtung von Gesetzen. Für Europa forderte sie die Einführung eines „Binnenmarkt Zars“, der Reformen vorantreibt. Diese könnten sich auf die Arbeits- und Produktmärkte ebenso wie Energie, Handel und Finanzdienstleistungen beziehen.
Globale Schuldenquote bei 100%
Unverzichtbar ist laut Georgiewa auch eine Bereinigung der Staatsfinanzen. So wird bis 2029 die globale Schuldenquote die Marke von 100% überschritten haben. Die hohe Verschuldung begrenze gerade in Krisenzeiten den fiskalpolitischen Spielraum. Unterdessen könnten wachstumsförderndeMaßnahmen helfen, Haushaltsdefizite und Handelsungleichgewichte abzubauen.
Georgiewa bekräftigte auch die Notwendigkeit, globale Ungleichgewichte zu reduzieren, da diese „protektionistische Gegenreaktionen“ auslösen könnten. Neben der Reduktion der Handelsungleichgewichte und der Schulden gelte es aber auch, gerade in konsumorientierten Volkswirtschaften wie den USA, Anreize zur Ersparnisbildung zu schaffen. Positiv hob Georgiewa in diesem Zusammenhang Deutschland hervor. Dort werde der Schwenk zu einer expansiven Fiskalpolitik helfen, den Zahlungsbilanzüberschuss zu verringern. „Infrastrukturausgaben werden in Deutschland über Investitionsanreize dem Privatsektor eine neue Dynamik verleihen“, sagte sie.